Krieg und Flucht: Der Jemenkrieg als größte humanitäre Krise der Welt – geführt mit deutschen Waffen

By Felton Davis, Flickr, licensed under CC BY 2.0 (edited by Jakob Reimann).

3 Uhr nachts in Deir Al-Ḩajārī, einem Dorf im Nordwesten des Jemen: Die Anwohnerinnen und Anwohner schliefen vermutlich, als die Bombe ihr Haus trifft. Opfer des Luftangriffs war eine sechsköpfige Familie – vier Kinder und eine schwangere Mutter. Der Angriff galt den Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern, keinem militärischen Ziel.

In den Trümmern werden Teile der Bombe identifiziert. Sie führen zu RWM Italia, einem Tochterunternehmen des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall. Zu diesem Zeitpunkt befand sich eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition schon anderthalb Jahre im Krieg. Bis dahin wurden über 9.400 Luftangriffe geflogen, nach sechs Jahren sind es schon über 22.000. Allein die Luftschläge verschulden laut UN über 61 Prozent der Todesopfer im Jemenkrieg – eines davon die Familie aus Deir Al-Ḩajārī.

Vorgeschichte des Kriegs

2011 stürzt eine breite Bewegung den seit 1978 herrschenden Diktator Ali Abdullah Saleh, aus Protest gegen Repression und die prekäre Wirtschaftslage des Landes. Entscheidend ist der Marsch der Houthis auf die Hauptstadt Sana’a – einer politisch-militärischen Bewegung, die dem zaiditischen Islam folgt und sich gegen die Dominanz des Wahhabismus, der saudischen Auslegung des Islams, wehrt. Die Houthi-Bewegung ist eine religiös-fundamentalistische, nicht linke Bewegung, die gegen die Unterwerfung durch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate kämpft. Neuer Präsident wird daraufhin Abed Rabbo Mansur Hadi. Als sich an den religiösen und sozioökonomischen Problemen jedoch nichts ändert, wird er 2015 von den Houthis aus Sana’a vertrieben und bittet Saudi-Arabien schließlich um Intervention. Damit wird der Konflikt zu einem Krieg.

Außenpolitische Hintergründe

Seit 2015 führt eine Staatenkoalition Krieg im Jemen – geführt von Saudi-Arabien, das selbst in einer sozioökonomischen Krise steckt und schiitische Muslime im In- und Ausland verfolgt. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) beteiligen sich ebenfalls und erobern mittels Söldnern und Separatisten, Städte im Südjemen sowie die Insel Sokotra im Golf von Aden. Die Konkurrenz zwischen ihnen und den Saudis um den Einfluss an Jemens Küste – etwa um den Hafen Hodeida, der letzten „Lebensader“ der Houthis – eskaliert den Krieg. Auch Algerien und Syrien mischen sich ein, sie unterstützen die Houthis finanziell.

Die USA unterstützen Saudi-Arabien – als Beschwichtigung ihres Verbündeten für das damalige Atom-Abkommen mit dem Iran. Der Iran hatte den Houthis vom Marsch auf Sana’a 2011 abgeraten und wenig Interesse an den zwar schiitischen, dennoch andersgläubigen Zaiditen. Erst nach der Einmischung Saudi-Arabiens ergriff der Iran mittels der Hisbollah für die Houthis Partei.

Folgen für die Bevölkerung

Nach sechs Jahren Krieg nennt die UN die Lage im Jemen die größte humanitäre Krise der Welt. Über 110.000 Menschen wurden Todesopfer „politischer Gewalt“, vier Millionen Menschen gelten als vertrieben. Viele flüchten im eigenen Land. Wer den Luftschlägen und Kämpfen entkommt, leidet qualvollen Hunger. 24 Millionen Jemeniten, 80 Prozent der Bevölkerung, benötigen humanitäre Hilfe. Der Hilfsorganisation Save The Children zufolge, starben bis Oktober 2018 etwa 85.000 Kinder unter fünf Jahren an Hunger und Krankheiten.

Verantwortlich dafür ist vor allem die saudische Luft- und Seeblockade seit 2015. Bereits vor dem Krieg importierte der Jemen 90 Prozent all seiner Lebensmittel. Nun kommen lebenswichtige Güter, auch Hilfslieferungen, nicht oder nur schwer ins Land. Die Menschen im Jemen sind gefangen.

12,5 Millionen Kinder sind bedroht. Täglich sterben im Jemen 130 Kinder unter fünf Jahren an vermeidbaren Ursachen, fast jedes benötigt dringend humanitäre Hilfe. Zudem werden sie als Kindersoldaten benutzt. Schießen statt Schule – oft die einzige Verdienstmöglichkeit im zerrütteten Land. Die meisten kämpfen für die Houthis, die sie religiös indoktrinieren und gegebenenfalls zwangsrekrutieren. Auf Seiten der saudischen Koalition kämpfen Kindersoldaten aus dem Sudan.

READ MORE: Der Krieg gegen Jemens Kinder

Titelbild von Roy Brick.

Die Rolle der BRD

Trotz allem schränkt die Bundesregierung ihre Rüstungsexporte kaum ein – aus geopolitischem Interesse. Saudi-Arabien gilt dem Westen als „Stabilitätsanker“ und Gegenspieler zum Iran in der Region. Für gute Beziehungen zu Saudi-Arabien drückt die BRD mehr als ein Auge zu, wenn Eurofighter- und Tornado-Kampfjets bei Bombardements zum Einsatz kommen oder Sturmgewehre von Heckler & Koch im Krieg morden. Seit 2015 wurden über sieben Milliarden Euro an Rüstungsgütern und Kriegswaffen für das saudisch geführte Bündnis genehmigt. Folglich ist der im 2018 beschlossenen Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbarte Lieferstopp an die kriegführenden Parteien eine Mogelpackung: Ausgenommen sind vorab genehmigte Lieferungen und Rüstungsgüter im Rahmen von Gemeinschaftsprojekten. Alle Kriegsparteien, außer Saudi-Arabien, erhalten nach wie vor Genehmigungen – allein die VAE erhält 2020 Kriegsmaterial im Wert von über 50 Millionen Euro. Erst die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi durch das saudische Königshaus führte Ende 2018 zu einem deutschen Rüstungsexportstopp gegen die Saudis bis Ende 2021.

Die deutsche Rüstungsindustrie umgeht sogar die laschen Beschränkungen der BRD über ein Netzwerk aus Tochterfirmen und schlägt somit weiterhin Kapital aus dem Tod. Rheinmetall lieferte beispielsweise über Sardinien und Südafrika weiterhin an die Saudis. Diese erhielten 2016 sogar eine Fabrik zur Herstellung von Artilleriemunition von Rheinmetall Denel Munitions, einer südafrikanischen Tochterfirma. Auch hier gibt es Hinweise auf einen Einsatz im Jemen.

Was tun als deutsche Linke?

Wir fordern einen lückenlosen Rüstungsexportstopp! Waffenproduktion und -einsatz nützen uns nichts und können auf uns zurückschlagen. Der Krieg beginnt hier! Daher müssen wir Bewegungen wie „Rheinmetall entwaffnen“ oder „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ unterstützen und die Praktiken skandalisieren. Letztlich gehört eine Regierung, die sich durch Waffenverkauf an Diktaturen an Menschenrechtsverbrechen beteiligt, abgewählt!

Der Artikel von Paul Fürst und Benni R. erschien in gedruckter Form in der Critica, der Zeitung des SDS.

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