Kooperation statt Wettbewerb und Integration statt Spaltung – Das gilt auch auf der Schiene!

Konkurrenz auf der Schiene ist ein Relikt aus der Blütezeit neoliberaler Politik. Die Ursache für das Kränkeln im Eisenbahnbetrieb ist nicht zu wenig, sondern zu viel privatwirtschaftliche Ausrichtung.

In Berlin treibt die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther mit aller Macht eine Ausschreibung der S-Bahn voran, die die Zerschlagung des einheitlichen Systems und die Vergabe an unterschiedliche private Betreiber zum Ziel hat. Im schlimmsten Fall würden 15 Jahre lang drei verschiedene private Eisenbahnunternehmen den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) im Stadtstaat betreiben. Beschaffung und Instandhaltung von 1.300 Wagen sollen zudem im Rahmen der Ausschreibung künftig per öffentlich-privater Partnerschaft (ÖPP) abgewickelt werden. Vertragslaufzeit: 30 Jahre. Mit einem Volumen von über 8 Milliarden Euro wäre das eines der größten Privatisierungsprojekte der letzten Jahrzehnte.

Ein Protest-Slogan lautet: „Wir bewerben uns: Die S-Bahn uns Berliner*innen!“

Die Berliner Zeitung schreibt: „Für die Fahrgäste der Berliner S-Bahn ist es keine gute Nachricht.“[i] In einem Offenen Brief der Students for Future Berlin vom 18. Dezember 2019 heißt es: „Wir fordern Sie dazu auf, die aktuelle Ausschreibung der S-Bahn zurückzunehmen. Ein sozial- und klimafreundliches S-Bahnkonzept soll stattdessen unter Bürgerbeteiligung mit Ihnen neu entwickelt werden.“ Das Bündnis Eine S-Bahn für Alle[ii] fordert den Abbruch der Ausschreibung sowie transparente Verhandlungen. Das Ziel: ein integrierter S-Bahn-Betrieb in öffentlicher Hand, bei dem die Länder Berlin und Brandenburg die Mehrheit an einer Betreibergesellschaft haben.

Als Folge der S-Bahn-Krise ab 2009 hatte die S-Bahn Berlin GmbH, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn, vier Jahre lang Verluste gemacht – insgesamt 364 Millionen Euro. Seit 2013 werden aber wieder Gewinne abgeführt – bis 2019 insgesamt 395 Millionen Euro. Diese Überschüsse könnten für den Ausbau der S-Bahn, für preiswerte Tickets oder auch für gemeinnützige Wohnungen verwendet werden. Warum sollten sie privaten Bahnunternehmen zufließen?

Grüne Privatisierung der Bahn?

Unter der Überschrift „Grüne wollen Deutsche Bahn zerschlagen“ berichtet der Berliner Tagesspiegel im Januar 2021 über die Bahnstrategie, mit der sich Bündnis 90/Die Grünen im bevorstehenden Bundestagswahlkampf positionieren. Die Grünen wollen die Deutsche Bahn AG aufspalten. Dabei soll die Infrastruktur der Bahn als natürliches Monopol öffentlich gepflegt und ausgebaut werden. Der Betrieb aber – auch der Fernverkehr – soll zukünftig wettbewerblich ausgeschrieben werden.

Nun gibt es wahrlich gute Gründe genug, das Geschäftsgebaren der DB AG zu kritisieren. Es ist ein gravierendes Problem, dass der DB-Konzern Gewinne erwirtschaftet (hat), indem die Infrastruktur kaputtgespart wurde. Und es ist ein gravierendes Problem, dass die Potentiale einer Bahn in der Fläche sträflich vernachlässigt wurden. Aber ursächlich ist nicht der Bahnbetrieb aus einer Hand, sondern die betriebswirtschaftliche Ausrichtung der konzerneigenen Tochter-Aktiengsellschaften, die untereinander und gegen andere Bahnunternehmen konkurrieren.

Es spricht vieles gegen die Zerteilung des Bahnkonzerns in Infrastruktur und Betrieb und gegen den systematischen Wettbewerb auf der Schiene.

Weil im neoliberal ausgerichteten europäischen Binnenmarkt[iii] Privatisierung und Wettbewerb um jeden Preis gewollt waren, müssen die Länder und Kommunen den öffentlichen Verkehr schon längst per Ausschreibung „bestellen“ und dann vergeben, wenn kein eigenes (kommunales oder landeseigenes) Unternehmen beauftragt werden kann.

So gibt es inzwischen einen Flickenteppich kleiner, mittlerer und großer Eisenbahnverkehrsunternehmen, die in Deutschland den Regionalverkehr auf der Schiene betreiben. Meist handelt es sich dabei um Tochterunternehmen ausländischer Eisenbahnkonzerne, häufig Töchter privatisierter Staatsbahnen. Alle Züge auf einer Strecke werden auch unter Wettbewerbsbedingungen meist 15 Jahre lang von derselben Firma betrieben. Ein Monopol auf Zeit also.

Wettbewerb scheitert auf der Schiene

Die Süddeutsche Zeitung schrieb 2010 über das britische Bahnsystem: Die Briten wünschen sich sehnlichst das alte System einer rein staatlich getragenen Bahn zurück.[iv] Grund: Insgesamt 25 private Gesellschaften und Franchisenehmer machen ein einheitliches und für den Kunden übersichtliches Preissystem unmöglich, von Koordination und Pünktlichkeit der Züge ganz zu schweigen. Auch in Deutschland zeigen sich eine Menge gravierender Probleme:

Der Druck auf Beschäftigte und Arbeitsbedingungen wächst. Mit den Ausschreibungszyklen gibt es keine langfristige Beschäftigungsperspektive. Gewerkschaftliche Erfolge werden alle 15 Jahre in Frage gestellt, weil Betriebsvereinbarungen, Arbeits- und Tarifverträge vielleicht beim nächsten Betreiber nicht mehr gelten. Oder nicht für die neu Eingestellten. Auch die Möglichkeiten der privaten Betreiberfirmen, Arbeit an Subunternehmer auszulagern, verschlechtern die Arbeitsbedingungen.

Es gibt mehr Störungen im Betriebsablauf. Je mehr unterschiedliche Akteure in dem komplexen Bahnnetz unterwegs sind, desto schwieriger ist es, dass alles reibungslos funktioniert.

Das Gesamtsystem Eisenbahn wird geschwächt. Private Betreiberfirmen sind nicht darauf ausgerichtet, das System Schiene aus volkswirtschaftlicher Perspektive und im Sinne der sozialökologischen Transformation weiterzuentwickeln. Manchmal sorgen sie sogar für die Stilllegung vermeintlich unprofitabler Teilstrecken. Wichtige Synergieeffekte des integrierten Betriebs gehen verloren, zum Beispiel die Vorhaltung von Reservezügen an zentralen Knotenpunkten oder der flexible Einsatz von Personal und Lokomotiven.

Kein privates Unternehmen betreibt auf Dauer den öffentlichen Verkehr, wenn es daran nicht verdient. Das sind Gewinne, der den öffentlichen Haushalten verloren gehen. Die Verkehrsverwaltungen der Bundesländer sind mit den aufwendigen Ausschreibungsverfahren häufig überfordert und geben viel Geld für spezialisierte Beratungsunternehmen und Anwaltskanzleien aus.

Die Argumente und fachkundigen Begründungen von Bahn für Alle, von Linken und Gewerkschafter*innen sind hier nur skizziert und an anderer Stelle ausgeführt.[v]

Das Scheitern schadet allen

Es kommt vor, dass private SPNV-Betreiber, nachdem sie die Ausschreibung gewonnen haben, den Betrieb gar nicht aufnehmen, weil sie nicht genügend Züge und/oder Fahrpersonal bereitstellen können. Die Folge sind teure Übergangsverträge, meist mit der Deutschen-Bahn-Tochter DB Regio, die (noch) über bessere Ausstattung verfügt. Wenn die Probleme später auftreten, ist es noch problematischer, denn für Zugausfälle wird die Politik verantwortlich gemacht. Also muss nachverhandelt und mehr gezahlt werden.

Der Preiskampf um den Zuschlag führt die ersten Bahnunternehmen in die Pleite.[vi] Mit der Städtebahn Sachsen ist bereits ein kleineres Unternehmen in Konkurs gegangen, nun steht Abellio auf der Kippe. Müsste dieser große Betreiber aufgeben, wäre keine andere Bahngesellschaft in der Lage, kurzfristig zu übernehmen. Auf vielen Linien in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen käme kein Zug mehr.

Unsere Alternative zieht

Was wir wollen, ist die integrierte Bahn in öffentlicher Hand – dem Gemeinwohl verpflichtet, demokratisch gestaltet und volkswirtschaftlich lohnenswert. Die Regionalisierung bleibt erhalten, und die Bundeländer werden befähigt, den Betrieb eigener Landesbahnen aufzunehmen. Kooperation über alle Ebenen und Beteiligten der öffentlichen Verkehre wird zum Leitbild – ebenso wie soziale und ökologische Ziele.

Als erstes Bundesland erwägt Thüringen, eine eigene öffentliche Landesbahn zu schaffen und zukünftig auf Ausschreibungen im öffentlichen Personennahverkehr zu verzichten.[vii]

Dabei kommt es durchaus auf die Rechtsform an. Heute werden öffentliche Aufgaben häufig ins Privatrecht verlegt, meist in GmbHs oder Aktiengesellschaften. Die „gehören“ dann zwar dem Staat, trotzdem ist die Rechtsformprivatisierung vollzogen. Das Management kann dann beispielsweise geheime privatrechtliche Verträge schließen oder Subunternehmerpyramiden einrichten. Der öffentlichen Hand ist es nur noch über die Aufsichtsgremien zur Rechenschaft verpflichtet. Demokratisch ist das nicht.

Eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) lässt eine Satzung zu, dem Unternehmen gesellschaftliche Ziele vorzugeben.

Bis zu öffentlich-rechtlichen Landesbahnen ist es noch ein langer Weg. Doch wenn Gewerkschaften, Klima- und Verkehrswendebewegung, Linke aus verschiedenen Parteien, lokale Bahn-Initiativen und gemeinwohlorientierte Wissenschaftler*innen an einem Strang ziehen, kann der widersinnige Wettbewerb auf der Schiene schon bald Geschichte sein.

Von Linken-MdB Sabine Leidig, Co-Autor ist Ludwig Lindner.

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[i] 17. Juni 2020: „Bund befürchtet Probleme nach Betreiberwechsel bei S-Bahn“

[ii] Die Homepages lohnen einen Besuch: bahn-fuer-alle.de/eine-s-bahn-fuer-alle
und www.eine-s-bahn-fuer-alle.de

[iii] Die Einführung des Wettbewerbs auf der Schiene markiert zwischen 1990 bis 2008 einen Höhepunkt der neoliberalen Meinungsführerschaft. Ausdruck dafür war der neu geschaffene gemeinsame Binnenmarkt der Europäischen Union. Die Mitgliedstaaten wurden auf marktliberale Wirtschaftspolitik verpflichtet. Vormals öffentliche Sektoren sollten für privates Kapital geöffnet und nach betriebs- und marktwirtschaftlichen Regeln umgebaut werden. Der Bahnverkehr war einer von vielen. Der „Wettbewerb auf der Schiene“ ist eine der kuriosesten Erfindungen dieser Phase.

[iv] SZ, 19. Mai 2010: „Bahn-Privatisierung in Großbritannien. Der Traum vom Staats-Express“

[v] „Plädoyer für eine integrierte Bahn in öffentlicher Hand – Argumente gegen Trennung und Wettbewerb auf der Schiene“, Thesenpapier Linksfraktion (Bernhard Knierim/Sabine Leidig, MdB), Februar 2021.
Auf nachhaltig-links.de / Mobilität / Bahn

[vi] Handelsblatt, 23. September 2020: „Deutsche Regionalbahnen stehen vor der Pleite“

[vii] Grundlage ist eine Ausarbeitung der Zukunftswerkstatt Schienenverkehr, der Professur Infrastrukturwirtschaft und -management (IWM) an der Bauhaus-Universität Weimar und der Kanzlei W2K. Der sperrige Titel: „Optionen und Empfehlungen bezüglich der Weiterentwicklung der Organisation der Leistungserbringung im Thüringer SPNV“.

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