Klimawandel nimmt immer bedrohlichere Formen an – Das Schlimmste kommt erst noch

Ende Juni/ Anfang Juli berichteten die Medien über eine Hitzewelle im Nordwesten der USA und im westlichen Kanada, die alle früheren Rekorde für hohe Temperaturen gebrochen hat. Ende Juni gab es in Seattle 40 ° C,  in Portland, Oregon 46 ° C.  Die Ortschaft Lytton wurde  durch einen Waldbrand fast völlig zerstört.

Vor der Brandkatastrophe hatte Lytton, das rund 260 Kilometer nordöstlich von Vancouver liegt, drei Tage in Folge Hitzerekorde verzeichnet. Das Thermometer zeigte nach Angaben der Wetterbehörde bis zu 49,6 Grad Celsius an, die höchste in Kanada jemals gemessene Temperatur. Hunderte sind schon gestorben an den Folgen der extremen Hitze. In Portland wurde der Stadtbahnverkehr eingestellt, weil die Stromkabel ausfielen. In Washington wurden Abschnitte der Autobahn I-5 gesperrt, weil der Straßenbelag aufquoll. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) handelt es sich bei der extremen Hitzewelle in Kanada und im Nordwesten der USA um ein „noch nie dagewesenes Ereignis“ seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.

Zwei Wochen später, am 14. Juli, bekamen auch die Menschen hierzulande die zunehmend zerstörerische Wirkung des Klimawandels zu spüren. Teile von Rheinland-Pfalz und NRW erlebten Starkregen in bisher nicht bekannter Form. Überschwemmte Straßen, gesperrte Bahnstrecken, eingestürzte Häuser, vollgelaufene Keller, umgekippte Bäume, zahlreiche Tote und Verletzte  – eine bisher beispiellose Katastrophe, die über 150 Menschen das Leben kostete. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hegen aber keinen Zweifel: Es ist der menschengemachte Klimawandel, der Extremwetterereignisse häufiger und intensiver werden lässt. Klimaforscher gehen davon aus, dass derlei Extremwetterereignisse durch die menschengemachte Erderwärmung häufiger werden könnten. „Als Einzelereignis kann man das immer als Wetter abtun“, hatte Prof. Mojib Latif Anfang der Woche in einem Interview mit dem WDR gesagt. Die Datenlage sei bisher schlecht. „Aber die neuesten Daten, die wir in den letzten Jahren gesammelt haben, deuten darauf hin, dass solche Extremniederschläge noch mal stärker ausfallen können. Wir beobachten auch in den letzten Jahren, dass es immer häufiger zu diesen sintflutartigen Niederschlägen mit Überschwemmungen kommt.“

Neue Normalität?

Manche Medien sagen, dies sei  die neue Normalität. Aber das ist eher eine Verharmlosung der Lage. Denn dieser Zustand  ist nicht stabil. Alles spricht dafür, dass die Häufigkeit und die Intensität von Extremwetterlagen in absehbarer Zeit weiter zunehmen werden. Ist diese Hitzewelle ein „Jahrtausendereignis“?  Ja, aber nur, wenn man statt der nächsten tausend die letzten tausend Jahre betrachtet.  Vieles spricht dafür, dass dies nur ein Durchgangspunkt zu noch schlimmeren Verhältnissen ist. Der IPCC warnt: Mehr Hitzewellen, mehr Hunger, überschwemmte Küstenorte, Artensterben. Ein Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens hat nach Einschätzung des Weltklimarates „irreversible Auswirkungen auf Menschen und ökologische Systeme“. Im Entwurf zu dem IPCC-Bericht, der vor kurzem bekannt wurde, gehen die Experten davon aus, dass eine Erderwärmung um 2 Grad etwa 420 Millionen Menschen zusätzlich dem Risiko von Hitzewellen aussetzt. “Das Schlimmste kommt erst noch und wird das Leben unserer Kinder und Enkel viel mehr betreffen als unseres“, heißt es in dem IPCC-Papier.

Peinlichkeiten, die tief blicken lassen

Angesichts der dramatischen Situation mahnen Klimaforscher: „Wir brauchen einen Turbo beim Klimaschutz“. Die  Wirtschaftsbosse und die bürgerlichen Politiker treten in Sachen Klimaschutz auf das Bremspedal. Sie kündigen mit salbungsvollen Worten eine vermeintliche „Klimaneutralität“ in einer weit entfernt liegenden Zukunft an. Gleichzeitig schützen sie die Hauptverursacher des Klimawandels, wenn sie im Hier und Jetzt alles unterlassen, was möglicherweise der Industrie missfallen könnte. Greta Thunberg  warf den PolitikerInnen und Mächtigen der Welt vor, sich nur als Retter*innen zu inszenieren statt tatsächlich die Klimakrise zu bekämpfen.

Ein besonderes Exemplar dieser Spezies ist Armin Laschet, der Kanzlerkandidat von CDU/CSU und Ministerpräsident von NRW. Zahlreiche Äußerungen machten deutlich welch Geistes Kind er ist. Vor einiger Zeit sorgte er mit der Bemerkung „Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema plötzlich ein weltweites geworden“ für einige Irritationen. Auch bei der Flutkatastrophe unterliefen ihm einige für einen Politprofi peinliche Ausrutscher, die tief blicken lassen. Während einer Rede von Bundespräsident Steinmeier in klErftstadt sieht man Armin Laschet so gar nicht betroffen, sondern lässig an einen Türrahmen gelehnt, lachend und mit Gesprächspartnern feixend. Die beispiellose Katastrophe, der Tod von mittlerweile über 150 Menschen ist für ihn kein Anlass, die von  ihm verantwortete klimaschädliche Politik zu überdenken. “Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik“ erklärte er in einem Fernsehinterview.

Agenda Laschet: Mit der Industrie gegen das Klima

Tatsächlich hatte sich Laschet in den letzten Jahren ständig als Bremser beim Klimaschutz hervorgetan. Seine erste Amtshandlung als Ministerpräsident war die Abschaffung des Klimaministeriums in NRW. Als Regierungschef eines Kohlelandes hat Laschet den Kohleausstieg nicht gefördert, sondern tat sich im Konflikt um die Rodung des Hambacher Forsts für den Ausbau des Braunkohletagesbaus als eifriger Förderer der Interessen von RWE hervor. Für den Kohlekonzern RWE organisierte er im August 2018 – unter einem Vorwand – den größten Polizeieinsatz in der Geschichte seines Bundeslandes, um den Hambacher Forst am gleichnamigen rheinischen Tagebau räumen zu lassen.

Nach dem Willen seiner Regierung sollen im rheinischen Revier bis 2028 noch mindestens 900 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert werden und damit auch 2385 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen werden – das ist mehr als der 3,2 fache Jahresausstoß der gesamten Bundesrepublik, der 2020 bei 739 Millionen Tonnen lag. 6 Dörfer sollen dafür noch abgebaggert werden.

Die erneuerbaren Energien führen in NRW noch immer ein Schattendasein. Ihr Anteil an der Stromerzeugung liegt bei 16 Prozent – gegenüber etwa 46 Prozent deutschlandweit. Entscheidend dazu beigetragen hat die rückwärtsgewandte Politik der Regierung Laschet: Tatsächlich aber schränkt das NRW-Klimaschutzgesetz den Bau von Windrädern massiv ein. Gemeinden können einen Mindestabstand von 1000 Metern zu Windrädern festlegen. Dies könnte dazu führen, dass der Bau von Windenergieanlagen nur noch auf 0,22 Prozent der Landesfläche möglich ist. Der 1000 m-Abstand gilt bereits für Ansammlungen von nur drei Häusern. Schlimmer noch:  Die Regelung gilt nicht nur für neu zu bauende Windräder, sondern auch für das sog. Repowering, d.h. den Austausch von alten Windrädern gegen neue. Das bedeutet, dass Windkraftanlagen, die ihr EEG-Förderungsende erreicht haben, nicht mehr durch neue ersetzt werden können. Armin Laschet (CDU) macht Nordrhein-Westfalen zur Verbotszone für Windräder. Es gibt in Deutschland kein Bundesland, das so viel Strom aus Kohle erzeugt wie NRW. 2017 waren es mehr als 65 % (neuere Zahlen liegen nicht vor).  Die erneuerbaren Energien kamen dagegen nur auf 12 %.

Im Verkehrsbereich, der laut Umweltbundesamt für rund 20 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich ist (davon mit 72 Prozent der Großteil aus dem Straßenverkehr) frönt Laschet einen quasi-religiösen Raserfundamentalismus. Selbstverständlich ist er gegen das Tempolimit von 130. Auch in der Frage möglicher Fahrverbote für Dieselstinker in Städten wegen schlechter Luft vertritt Laschet die Interessen der Autoindustrie. Der CDU-Abgeordnete Rainer Deppe jubilierte: Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) habe immer gesagt, er werde alles tun, um Fahrverbote zu verhindern, „und er hat nicht aufgegeben, er hat es geschafft“.

Angesichts dieser Verdienste von Laschet um die Verhinderung von Umweltschutzmaßnahmen, ist das, was der Noch-Ministerpräsident und mögliche künftige Bundeskanzler in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ erklärte, als Drohung zu verstehen: „Wir regieren NRW so, wie ich es mir auch für den Bund vorstellen würde“. 

Laschet ist zwar extrem. Aber auch seine zwei Konkurrent*innen um das Kanzleramt, SPD Kandidat Scholz und Anna-Lena Baerbock von den Grünen stehen nicht für eine grundsätzlich andere Politik. Bei dem vom „Bundesverband der deutschen Industrie“ organisierten  „Tag der deutschen Industrie“ veranstalteten die drei Spitzenkandidat*innen ein Schaulaufen, bei dem sie um die die Gunst der Industrie für ihre Vorstellungen warben.  Gleichzeitig  versicherten sie: Ohne die Industrie können die Klimaziele nicht erreicht werden. Entsprechend besteht ihre Politik vor allem darin, so zu tun als würden sie handeln, während sie gleichzeitig ihrer Klientel den Rücken frei halten.

Lehren aus der Tragödie

Über die dringend notwendige unmittelbare Solidarität mit den Opfern hinaus müssen wir Lehren aus der Tragödie ziehen. Lektion Nr. 1 ist, dass es ernst ist und keine Minute mehr zu verlieren ist. Es müssen dringend energische Maßnahmen ergriffen werden, um die Klimakatastrophe zu stoppen, sonst werden  auf diese Katastrophe in immer kürzeren Zeitabständen noch schlimmere Katastrophen folgen. Lektion Nr. 2 ist, dass wir keinen Grund haben, den Regierungen zu vertrauen. Sie erzählen uns seit über 30 Jahren, dass sie Maßnahmen gegen den Klimawandel  ergreifen, Fakt ist, dass sie so gut wie nichts zur Verhinderung des Klimawandels getan haben. Im Gegenteil: Ihre neoliberale Sparpolitik, ihre Privatisierungen, ihre Maßnahmen zur Gewinnmaximierung für Stromkonzerne, die auf Kohle setzen, ihre schützende Hand für die Autokonzerne, ihre Politik der Verhinderung einer Verkehrswende und ihre Förderung von Agrarkonzernen haben uns an den Rand des Abgrundes gebracht.

In den kommenden Tagen werden wir die Herrschenden mit den Händen auf dem Herzen schwören hören, dass die dramatischen Überschwemmungen ihren Wunsch bestärken, den Kapitalismus zu begrünen. Tatsache aber ist: Der real existierende Kapitalismus ist gerade auch ein fossiler Kapitalismus. Ein Wirtschaftssystem, das auf permanentem Wachstum, Profit und Konkurrenz beruht, kann nicht in Einklang mit einem nachhaltigen, sorgsamen Umgang mit der Natur gebracht werden.

Erforderlich ist  der vollständige Ausstieg aus der Autogesellschaft, weg vom Verbrenner. Ein einfaches 1:1- Ersetzen der heutigen „schmutzigen“ Autos mit Verbrennungsantrieb durch angeblich saubere E-Autos ist keine Lösung. Auch E-Autos haben einen horrenden Flächenverbrauch und verstopften Straßen und Autobahnen. Die Klimabilanz bei der Herstellung von E-Autos ist katastrophal. Die Gewinnung der für die Produktion von Batterien erforderlichen Rohstoffe (Lithium, Kobalt, seltene Erden, Kupfer) bringt dramatische ökologische Verwerfungen mit sich. Eine massenhafte E-Auto-Produktion würde zudem weiterhin eine große fossile Erdölwirtschaft benötigen, denn die Autos haben heute einen 50%-igen Kunststoff-Volumenanteil (Reifen, Armaturen, Sitze etc.). Und allein der Autoverkehr verursacht laut Daten des Fraunhofer Instituts giftigen Feinstaub durch Reifen- und Fahrbahnabrieb. Mit jährlich 130.000 Tonnen keine Petitesse. 

Die Alternative zum heute ungehemmten Automobilismus ist der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel (Busse, Straßenbahnen, Züge) und eine energische Förderung des Fahrradfahrens. Zudem brauchen wir den Nulltarif für den gesamten ÖPNV. Aus ökologischen Gründen gilt, dass die Zahl der Autos drastisch verringert werden muss. Die aktuellen Arbeitsplätze in der Autoindustrie werden gesichert durch die Umstellung der Produktion auf öffentliche Verkehrsmittel (Busse, Straßenbahn, Eisenbahn) und durch den Ausbau der Bahninfrastruktur.  Spätestens nach der Beendigung dieser großen Infrastrukturaufgabe benötigen wir dringend eine Arbeitszeitverkürzung. Das gilt auch, weil wir aus ökologischen Gründen aus dem kapitalistischen Hamsterrad bestehend aus immer mehr Produktionswachstum aussteigen müssen. So müssen wir den Umfang der Konsumwegwerfgüter deutlich reduzieren.  Und wir müssen rasch die Chemieindustrie und die Stahlindustrie auf erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff umstellen. Schon hören wir die Klagen der Kapitalkreise und der Politiker über die hohen Kosten.  Darauf kann nur mit den Worten des Kieler Klimawissenschaftlers Latif geantwortet werden: „Wir sollten nicht fragen, was uns der Klimaschutz kostet. Denn die Klimaveränderung kostet uns schon heute Milliarden. Sondern wir müssen uns fragen: Was kostet es uns, wenn wir nicht handeln.“  Allein die Versicherung rechnen nach der Flutkatastrophe mit Schadenszahlungen von rund fünf Milliarden Euro. Dazu kommen noch Kosten von Bund und Ländern für Wiederaufbaumaßnahmen an der zerstörten Infrastruktur.

Handeln müssen wir auch beim Ausstieg aus der Stromerzeugung mit fossilen Energien  und zwar so schnell wie möglich. Der von der Merkel-Regierung beschlossene Ausstieg aus Kohleverbrennung erst in 2038 ist ein böser Witz. Es geht mindestens 10 Jahre früher. Und es müssen endlich die Bremsen gelöst werden beim Ausbau der erneuerbaren Energien.  Die Merkel-Regierung aber auch Laschet und Söder haben in den letzten zwei Jahren ungerührt zugeschaut, wie als Ergebnis ihrer Politik zehntausende Arbeitsplätze in der norddeutschen Windenergie kaputt gemacht wurden. Das muss ein Ende haben.

Wenn wir die CO2-Emissionen nicht stoppen, wird die Erde in eine Heisszeit abkippen- was für Menschen, Tierwelt und Flora katastrophale Folgen haben wird. Gegen die geballte Macht dieser Konzerne und ihrer dienstbaren Politiker helfen keine Appelle an deren Einsicht. Stattdessen kommt es darauf an,  breite und dynamische Bewegungen  zu schaffen, um effektive Maßnahmen gegen den Klimawandel durchzusetzen. Wir brauchen eine entschlossene, radikale Politik, die dem Ernst der Lage gerecht wird. Dabei kommen wir gar nicht darum herum, immer wieder  die „Systemfrage“ stellen.

Systemwandel statt Klimawandel

Ökosozialismus statt Barbarei

Der Text von Paul Michel entstand auf Grundlage von Diskussionen im „Netzwerk Ökosozialismus“ (Kontakt: info@netzwerk-ökosozialismus.de)

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Eine Antwort

  1. Sehr schöner Beitrag, aber warum wird die Fleischindustrie nicht benannt? Nach einer FAO-Studie verursacht die Fleischproduktion mehr klimaschädliche Gase als der gesamte Verkehrssektor – zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Die Abschaffung der Massentierhaltung ist nicht nur aus ethischen Gründen geboten, sondern auch unerlässlich aus ökologischen Gründen. Die Klimakatastrophe abzubremsen und Massentierhaltung beizubehalten, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Deshalb gehört die Forderung nach ihrer sofortigen Abschaffung ganz nach vorne.

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