Wir sollten Israels Weg zur permanenten Apartheid in genau demselben Licht betrachten wie die historische Schande der südafrikanischen Apartheid. Die aggressivsten und unbeirrbarsten Befürworter dieser Apartheid stehen an der Spitze der US-amerikanischen politischen Elite — meint Glenn Greenwald.
Translated by Jakob Reimann from JusticeNow! with permission from The Intercept
by Glenn Greenwald
Im Jahr 2010 warnte der damalige israelische Verteidigungsminister Ehud Barak ausdrücklich davor, Israel würde sich zu einem permanenten „Apartheidsstaat“ entwickeln, wenn es misslingt, ein Friedensabkommen mit den Palästinensern zu schließen, das ihren eigenen souveränen Staat erschaffen und sie mit vollen politischen Rechten ausstatten würde. „Solange es im Gebiet westlich des Jordanflusses nur ein politisches Gebilde mit Namen Israel gibt, wird es entweder nicht jüdisch oder nicht demokratisch sein“, sagte Barak. „Wenn dieser Block von Millionen von Palästinensern nicht zur Wahl darf, wird dieses Gebilde ein Apartheidstaat sein.“
Ehrliche Beobachter auf beiden Seiten des Konflikts haben schon vor Langem eingeräumt, dass die Aussichten auf eine Zweistaatenlösung praktisch nicht mehr existieren: eine andere Art zu sagen, dass Israels Status als ständiges Apartheidsregime unausweichlich ist. Tatsächlich haben US-Geheimdienste bereits vor 45 Jahren ausdrücklich davor gewarnt, dass die israelische Besatzung permanent werden würde, sollte sie nicht schnellstmöglich beendet werden.
Alle relevanten Beweise machten deutlich, dass genau dies geschieht. Seit vielen Jahren hat es keinerlei Fortschritte in Richtung einer Zweistaatenlösung gegeben. Die Struktur der israelischen jüdischen Bevölkerung – die wesentlich kriegshungriger und rechtsextremer als frühere Generationen geworden ist – hat das Land immer weiter von diesem Ziel entfernt. Es gibt Minister in Schlüsselpositionen in der israelischen Regierung, einschließlich der extrem radikalen Justizministerin, die sich offen und ausdrücklich gegen eine Zweistaatenlösung aussprechen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat immer wieder deutlich gemacht, dass auch er gegen eine solche Lösung ist – in Wort und in Tat. Israel beabsichtigt, auch weiterhin über die Palästinenser zu herrschen und ihr Land zu besetzen und ihnen Selbstverwaltung, politische Freiheiten und das Wahlrecht in alle Ewigkeit vorzuenthalten.
Trotz dieser Aggression und der Unterdrückung, oder gerade deswegen, hat die Obama-Regierung Israel immer wieder uneingeschränkte Treue geschworen und es mit Waffen und Geld überschüttet. Diese Belohnung des israelischen Verhaltens gipfelte vor nur drei Wochen in der Ankündigung der US-Regierung, sie habe eine „Absichtserklärung“ unterzeichnet, die Hilfszahlungen, die die USA jedes Jahr nach Israel schickt, signifikant zu erhöhen, auch wenn Israel bereits zuvor der mit Abstand größte Empfänger von US-Hilfen war. Im Zuge dieser Vereinbarung werden die USA Israel über 10 Jahre hinweg insgesamt 38 Milliarden Dollar überweisen – mit Abstand ein neuer Rekord für US-Hilfszahlungen –, obwohl israelische Bürger bereits alle Arten von staatlichen Wohltaten genießen, von denen Amerikanern (deren Geld nach Israel geschickt wird) gesagt wird, es wäre zu kostspielig, sie ihnen zu gewähren, einschließlich einer allgemeinen Gesundheitsversorgung und besserer Lebenserwartung und Säuglingssterblichkeit.
Mit der druckfrischen 38-Milliarden-Dollar-Zusage in der Hand, kündigte die israelische Regierung diese Woche die Genehmigung einer gänzlich neuen Siedlung in der Westbank an, was im krassen Gegensatz zur vermeintlichen US-Politik und dem internationalen Konsens steht, sowie jede Perspektive auf ein Ende der Besatzung zunichtemacht. Die neue Siedlung , „eine Reihe von Wohnkomplexen, die droht, die Westbank in zwei Teile zu schneiden“, wie die New York Times es diesen Morgen formuliert, „ist so geplant, dass sie Bewohner aus einer nahe gelegenen illegalen Siedung, Amona, beherbergen wird, dessen Abriss von einem israelischen Gericht angeordnet wurde.“ Diese neue Siedlung ragt weit in die Westbank hinein: in Wahrheit ist sie näher an Jordanien als an Israel.
Als Reaktion auf diese Ankündigung äußerte das US-Außenministerium gestern eine ungewöhnlich scharfe Kritik an der israelischen Aktion. „Wir verurteilen inständig die jüngste Entscheidung der israelischen Regierung, einen Plan voranzutreiben, der die Schaffung einer gänzlich neuen Siedlung mitten in der Westbank zum Ziel hat“, begann das Statement. Es wird suggeriert, dass Netanyahu öffentlich gelogen hatte, mit dem Hinweis darauf, dass die „Genehmigung früheren öffentlichen Erklärungen der israelischen Regierung widerspricht, sie hege keine Absichten, neue Siedlungen zu errichten.“ Das State Department brachte auch das jüngste Hilfspaket der USA zur Sprache, und betonte, es sei „äußerst beunruhigend, dass Israel infolge eines beispiellosen Abkommens über Militärhilfen zwischen Israel und den USA, das die weitere Stärkung der israelischen Sicherheit zum Ziel hat, eine Entscheidung trifft, die seinem langfristigen Sicherheitsinteresse im Rahmen einer friedlichen Lösung des Konflikts mit den Palästinensern entgegengesetzt ist.“
Auch wenn es in ungewohnter rhetorischer Klarheit daherkommt, war das meiste davon nicht anders zu erwarten: die US-Regierung — in klassischer Obama-Manier — gibt nette, wohltuende Statements heraus, in denen sie behauptet, sie würde sich über die israelischen Siedlungen aufregen, während sie aber kontinuierlich Maßnahmen durchsetzt, die exakt jene Grundsätze schützen und ermöglichen, die Obama doch angeblich so sehr ablehnt. Doch die Verurteilung des US-Außenministeriums von gestern war tatsächlich bemerkenswert, in dem Sinne, dass es ein unzweideutiges, explizites — und längst überfälliges — Eingeständnis darstellt, dass sich Israel eindeutig und unumkehrbar dazu bekannt hat, in alle Ewigkeit über die Palästinenser zu herrschen, und genau der „Apartheidsstaat“ zu werden, vor dem Barak gewarnt hat:
Die Israelis müssen sich letztlich zwischen der Expansion der Siedlungen oder dem Fortbestehen der Option einer friedlichen Zweistaatenlösung entscheiden. Seitdem der letzte Bericht des [Nahost-] Quartetts beide Seiten dazu aufrief, konstruktive Maßnahmen zu ergreifen, um die aktuellen Trends umzukehren und die Zweistaatenlösung voranzutreiben, haben wir leider das genaue Gegenteil erlebt. Die Errichtung dieser neuen Siedlung ist ein weiterer Schritt in Richtung der Zementierung einer Ein-Staaten-Realität endloser Besatzung, die ein fundamentaler Widerspruch zu Israels Zukunft als jüdischer und demokratischer Staat ist. Ein solcher Schritt wird lediglich die Verurteilung durch die internationale Gemeinschaft nach sich ziehen, Israel von vielen seiner Partner distanzieren und das Engagement Israels hin zu einem Frieden weiter in Frage stellen.
Israel bewegt sich also — in den Worten seines treuesten Wohltäters — unaufhaltsam „in Richtung der Zementierung einer Ein-Staaten-Realität endloser Besatzung“, die antidemokratisch ist: äquivalent zu Apartheid also. Und der führende Beschützer und Wegbereiter dieses Apartheidsregimes sind die USA — genauso wie sie es auch im südafrikanischen Apartheidsregime der 1980er Jahre waren.
Schlimmer noch, die Person, die aller Wahrscheinlichkeit nach die nächste US-Präsidentin werden wird, Hillary Clinton, hat nicht nur geschworen, all das fortzuführen, sondern die US-Rückendeckung sogar noch zu erhöhen, sowohl für Israel im Allgemeinen, als auch für Netanyahu im Speziellen. Ihre einzige Kritik an der US-Politik ist wahrhaftig, dass die USA zu wenig Loyalität gegenüber Israel an den Tag legt. Ihr Widersacher Donald Trump palaverte zwar zunächst ein wenig von Dissens bezüglich der israelischen Politik, ist mittlerweile jedoch ebenfalls voll und ganz auf Linie. Die völlige Abwesenheit von politischem Widerspruch im US-Politestablishment zu all dem wird durch die Tatsache deutlich, dass der einzige Widerstand gegen das 38-Milliarden-Dollar-Hilfspaket von US-Senatoren kam, die – Netanyahus Echo gleich – wütend darauf waren, dass das Paket nicht noch großzügiger war und die amerikanischen Bürger für Israels Belange nicht noch mehr geschröpft wurden. Die uneingeschränkte Unterstützung der israelischen Apartheid ist faktisch der ungebrochene Konsens unter den US-Eliten.
Am schlimmsten ist jedoch, dass die politische Orthodoxie in den USA diesen Apartheidstaat nicht nur finanziert, ermutigt und beschützt hat, sondern auch den Versuch unternimmt, sämtliche Formen des Widerstandes als illegitim darzustellen. So wie sie es auch mit dem African National Congress und Nelson Mandela tat, denunzieren die USA alle Gruppen und Einzelpersonen, die Gewalt gegen die israelische Besatzungsarmee anwenden, als „Terroristen“. Gewaltfreie Programme gegen die Besatzung — wie die Boycott, Divestment and Sanctions-Bewegung [BDS] — werden hingegen als Fanatismus und Antisemitismus mundtot gemacht (eine Position, die Clinton mit besonderer Vehemenz vertritt). Boykottbewegungen gelangen in der westlichen Welt zunehmend ins Fadenkreuz der Zensur und werden gar kriminalisiert. Für das US-Establishment ist das einzig akzeptable Mittel für die Palästinenser und deren Unterstützer für das Recht auf Leben frei von Besatzung die totale Unterwerfung.
Auch wenn es im Westen weiterhin Konsens ist, die unerschütterlichsten Unterstützer des Apartheidregimes in Südafrika — Ronald Reagan, Margaret Thatcher, Shimon Peres — zu verehren, so wird jetzt im Nachhinein zumindest die Apartheid selbst als eine historische Schande betrachtet. Die Geschichte sollte diejenigen, die Israels eigenen Weg zur permanenten Apartheid unterstützen, in genau demselben Licht betrachten. Die aggressivsten und unbeirrbarsten Befürworter dieser Apartheid stehen an der Spitze der US-amerikanischen politischen Elite.
Translated by Jakob Reimann from JusticeNow! with permission from The Intercept.
JusticeNow! and Die Freiheitsliebe send the best wishes and a big THANK YOU to Glenn Greenwald in Rio de Janeiro and to the team of The Intercept in New York — connect critical journalism worldwide!
3 Antworten
http://saeedamireh.com/2016/10/15/israeli-soldiers-provoke-clashes-return-to-arrest-youths/
Israel, will keinen Frieden ! Israelische Poltik unterwirft sich zunehmend den Zielen der Siedlerbewegung, die einzig und allein LAND fordert ! Dieses palästinensiche Land – das im politischen Diskurs der israelischen Regierung, nicht zur Disposition steht, also „nicht besetzt“ ist, wird tagtäglich durch einen maßlos forcierten Siedlungsbau enteignet. Die israelische Besatzungspolitik, gekennzeichnet durch Militärgerichtsbarkeit und tägliche- und vornehmlich nächtliche bewaffnete Aggressionen, die PalästinenserInnen in stumme, verängstigte und lautlose Objekte zu verwandeln trachtet, (Zuckermann bezeichnet das als „tagtägliches Faktenschaffen im Gelände“) wird scheitern !
Unter dem „Primat der Sicherheit“ begründet Israel seine offen gegen die Schaffung eines palästinensichen Staates gerichtete Kolonialisierungspolitik und eine damit einhergehende Apartheidpolitik der Diskriminierung, Vertreibung und Auslöschung der PalästinenserInnen.
Saeed ist unter der Besatzung geboren und musste sie in allen ihren brutalen Ausformungen erleben, erlebt sie schmerzlich (nun im fernen Studienort ) tagtäglich neu und fordert uns auf, unserer lautlosen Erschütterung eine Stimme zu geben, nicht wegzuschauen. Er legt mit seinen Beiträgen immer und immer wieder Zeugnis ab und entblättert die wahren Ziele der selbsternannten „einzigen Demokratie im Nahen Osten“.
Solidarisieren wir uns ! Sind wir vor Ort, wenn die Nakba-Ausstellung in Göttingen eröffnet wird, wenn in Göttinger Hörsälen im November zum Nahost“konflikt“ gelesen und diskutiert wird, wenn in Berlin gegen die Administrativhaft zusammen gestanden wird ! Wenn Friedensaktivisten vor der „Drohnenbasis“ Rammstein demonstrieren…..Gehen wir in die Veranstaltungen und diskutieren wir aus dem Publikum heraus, durchbrechen wir den selbstherrlichen Diskurs der zionistischen Israel-Lobby in unserer Gesellschaft, die danach trachtet, auch der vorsichtigsten Kritik an israelischer Politik den „Haftbefehl“ (Prof. Verleger) des ANTISEMITSMUS auszustellen und uns mundtot zu machen.
Schaffen wir Gegenöffentlichkeit zur Komplizenschaft der deutschen Bundesregierung und der Waffenlobby, die sich aus politischem, ökonomischem und geostrategischem Kalkül auf eine sg. „Staatsräson“ im Verhältnis zum israelischen Staat beruft und sich offensichtlich ihrer historschen Verantwortung, deren letzte Opfer die PalästinenserInnen sind, nicht stellt.
Solidarisieren wir uns mit von „Kopfgeldjägern“ (Prof. Verleger) wie Benjamin Weinthal medial verfolgten aufrechten und mutigen Menschrechtsaktivisten in unserem Land, deren einziger Straftatbestand darin besteht, dass sie den PalästinenserInnen eine Stimme geben und gegen Apathie , Dummheit und Ignoranz in unserem Land mobilisieren.
Die lautlosen Worte LAUT werden lassen !
Darunter die uns namentlich bekannten, wie den BDS-Aktivisten Christoph in Oldenburg und Nirit Sommerfeld in München vom Bündnis BIB-jetzt, die Aktivisten der Nahostinitiative in Bremen und viele viele scheinbar unsichtbar wirkende Freunde und Genossen.
Nur gemeinsam sind wir stark!
Danke Saeed, dass du uns nicht aus unserer Verantwortung entlässt !
No pasarán!
Kerstin
Hier findet ihr das ansprechende Programm in Göttingen: https://app.box.com/s/yfi5ahcas4b5gcuke09m0d7ayfjkwza5