Der globale Kapitalismus ist nicht nur schuld am Klimawandel, sondern ist auch der Grund für das Aussterben von Millionen von Tier- und Pflanzenarten. Sahrah Ensor vom Socialist Review erklärt uns diese Krise und was wir dagegen tun können.
In weniger als 80 Jahren hat der globale Kapitalismus eine Krise der Artenvielfalt erschaffen, deren Auswirkungen in der Geschichte der Menschheit noch nie zuvor gesehen wurden. Über ein Achtel aller Pflanzen- und Tierarten der Erde stehen kurz vor ihrem Aussterben. Wenn wir den Auslöser dieser Katastrophe nicht bekämpfen, werden viele davon für immer verschwinden, bevor wie überhaupt die Chance hatten, sie zu klassifizieren, zu verstehen und ein Verständnis für ihre wichtige Rolle in unseren Ökosystemen zu erlangen.
In den Worten von Charles Darwin: „Aus einem so schlichten Anfang entstand, und entsteht noch weiter, eine unendliche Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen.“ Doch jetzt verlieren wir diese Vielfalt an Leben, welche Darwin vor 160 Jahren erst zu verstehen begann.
Das Artensterben selbst ist noch keine Krise, da es ein Teil der normalen Evolution ist. Geologische Daten verzeichnen fünf große Massensterben. Viele Spezies starben einfach aus, weil sie sich nicht an die sich ständig wandelnden Umweltbedingungen wie den Sauerstoffgehalt der Luft anpassen konnten, aus Sicht der Evolution also nicht erfolgreich waren.
Doch der Verlust an Artenvielfalt, welchen wir jetzt gerade erleben ist nicht natürlichen Ursprungs; er ist ein Zusammenspiel aus Umweltverschmutzung, dem Verlust von Lebensräumen, Krankheiten, der Versauerung der Meere und dem durch den Klimawandel immer wärmer werdenden Wasser. Diese Prozesse werden durch das vom Kapitalismus angetriebene unaufhaltsame Verbrennen fossiler Treibstoffe ausgelöst und dienen nur einem Zweck –dem einzigen Zweck des Kapitalismus überhaupt: der Profitmaximierung.
Seit dem zweiten Weltkrieg hat es der Kapitalismus geschafft, eine ganze geologische Epoche – den Holozän – zu beenden. In diesem geologischen Zeitalter haben wir seit dem Ende der letzten Eiszeit vor circa 10.000 Jahren gelebt. Es war warm genug, um die größte Artenvielfalt aller Zeiten hervorzubringen. Die neue geologische Epoche, in der wir jetzt leben, wurde das Anthropozän getauft, da menschliche Aktivität nun der dominante Einfluss auf das Klima und die Umwelt ist. Das Anthropozän beschreibt allerdings nicht die Aktivitäten aller Menschen, sondern hauptsächlich das Verhalten der Kapitalisten und die kapitalistische Idee der globalen Produktion von Gütern.
Der „Living Blue Planet Report“ des WWF aus dem Jahre 2015 zeigt, dass in nur etwas über 40 Jahren die Population von Fischen und anderen marinen Wirbeltieren um 49 Prozent gesunken ist. Dazu gehören auch wichtige Nahrungsquellen wie Kabeljau, Schellfisch, Lachs und Tunfisch. Im Jahr des Reports waren 25 Prozent der Hai- und Rochenarten von Überfischung und Verlust von Lebensraum bedroht. Letztes Jahr ist diese Zahl laut einem Bericht der Vereinten Nationen auf 33 Prozent gestiegen und umfasst nun auch alle riffbildenden Korallen. Korallenriffs wirken als Lebensräume für mehr als ein Viertel aller Meeresfische, doch werden sie von Versäuerung, Erwärmung und Verschmutzung der Meere durch Plastik bedroht. Auch mehr als ein Drittel aller Meeressäugetiere sind mittlerweile vom Aussterben bedroht.
Insektensterben
Das Ausmaß des Insektensterbens ist erschreckend. Insekten gibt es seit über 479 Millionen Jahren und sie haben bis jetzt alle vorherigen Massensterben überlebt. Es gibt derart viele Insektenarten, die noch nicht klassifiziert wurden, dass wir uns nicht sicher sein können, wie viele tatsächlich bedroht sind, doch Schätzungen aus einem UN-Bericht von 2019 lassen auf circa 10 Prozent schließen.
Andere Studien aus dem gleichen Jahr zeigen, dass der Insektenbestand in den Regenwäldern von Puerto Rico in den letzten 40 Jahren um bis zu 98 Prozent (!) gesunken ist. Im gleichen Zeitraum haben die Regenwälder Mexikos und die Naturschutzgebiete Deutschlands ebenfalls etwa 75 Prozent ihrer Insektenbestände verloren. Daraus folgt wiederum, dass sich große Populationen von Vögeln, Reptilien und Säugetieren, welche von Insekten abhängig sind, nicht erfolgreich fortpflanzen konnten. Dies erklärt zum Teil, warum die USA und Kanada seit den 1970er Jahren 29 Prozent ihrer Vogelpopulation verloren haben. Frankreich hat seit den 1980ern 30 Prozent seiner Feldvögel verloren, Großbritannien sogar 56 Prozent, einschließlich der Feldlerchen und Feldhühner.
Insekten dienen nicht nur als Nahrungsquelle sondern sind auch nützlich als Bestäuber, Schädlingsbekämpfer und Wasserreiniger. Zusammen mit Würmern, Mikroorganismen und Bakterien können sie organische Materialien zu fruchtbareren Böden zersetzen. Daher hat die Vernichtung von Insekten verheerende Folgen für die gesamte Nahrungskette.
Das Insektensterben kann mit den steigenden Temperaturen und der Umweltverschmutzung in Verbindung gebracht werden, doch der größte Verursacher ist die Zerstörung ihres Lebensraumes durch die weitverbreitete Nutzung von neonicotinoiden Insektiziden und glyphosathaltigen Düngemitteln. Hochwirksame Insektizide, wie Neonicotinoide, verursachen Orientierungsverlust bei Bienen und können Bienenvölker sogar süchtig danach machen und zur Störung ganzer Kolonien führen.
Glyphosat und Neonicotinoid-Insektizide wurden in den 1980ern entwickelt, um ihre noch giftigeren Vorgänger, wie DDT zu ersetzen. In ihrem 1962 erschienen Buch Silent Spring beschreibt Rachel Carson die erschreckende Vernichtung von Vögeln, Wirbellosen und Fischen, nachdem riesige Mengen an Pestiziden auf US-amerikanischen und europäischen Feldern und in Parks und Gärten eingesetzt wurden, um – reale oder auch imaginäre – Schädlinge zu bekämpfen. Die Nutzung dieser Chemikalien wurde zwar reguliert, aber dennoch vergifteten oder töteten sie jährlich Hunderte von Menschen und richteten durch die auf ihrem Weg durch die Nahrungskette zunehmende Konzentration sogar in kleinsten Mengen große Schäden an. Diese Chemikalien waren hoch profitabel und große Chemiekonzerne, wie Monsanto – heute in Besitz des Pharmariesen Bayer – kämpften lange für ihren Erhalt und gegen die Behauptungen, sie seien schuld am Sterben von Bienen, Bestäubern und Schmetterlingen. Aber auch landwirtschaftliche Konzerne und die britische National Farmers Union haben gegen ein Verbot von hochwirksamen Pestiziden wie Neonicotinoiden in Großbritannien und Europa lobbyiert.
Die agrochemische Industrie ist auch der Hauptgrund für die hohe Konzentration von künstlichen Nitratdüngern, welche auf unfruchtbares Land ausgebracht werden und mit der Entwicklung von „toten Zonen“ in Küstengewässern. Wenn Nitrate mit der Erde vom Regen weggespült werden, bleibt oft nicht genug Sauerstoff zurück, um das Leben von vielen Tier- und Pflanzenarten zu ermöglichen, so dass noch mehr teure Nitrate zur Erde dazugemischt werden müssen.
Wenn der industriellen Zerstörung der Artenvielfalt und der Klimawandel nicht energisch begegnet werden, werden große Flächen der Erde bald nicht länger bewohnbar sein. Aktuelle Katastrophen wie die riesigen Buschfeuer in Australien und Fluten in Indonesien zeigen, wie schnell sich diese Probleme ausweiten können. Extreme Klimaereignisse können ein Ökosystem schnell überwältigen, alles auf ihrem Weg zerstören und alle überlebenden Spezies vom Aussterben bedroht zurücklassen. Der Verlust einer einzigen Art kann eine Kettenreaktion auslösen, die es wahrscheinlicher macht, dass andere Arten ebenfalls zugrunde gehen.
Der Kapitalismus passt sich fortwährend an, um nach Lösungen für Probleme zu suchen, die er selbst geschaffen hat. Doch die Lösungen, die er als solche verkauft, sind vollkommen unzulänglich. Statt DDT sprühen wir jetzt Glyphosat, was das Probleme aber nicht löst. Die Kapitalisten sind in der Logik des Kapitals gefangen – der Logik der Konkurrenz und des Profits. Sie sind unfähig, sich der Dynamik zu entziehen, die an der Wurzel der Probleme liegt.
Der Ärger der Massen
Diese „Lösungen“ machen die Probleme also nicht nur noch schlimmer, sie sind auch bewusste Versuche, den Ärger und die Angst der Massen vor der Umweltzerstörung abzuwenden. Gewöhnliche Leute spenden jährlich Millionen von Euros an Organisationen, die sich für den Erhalt der Natur und die Rettung einzelner Spezies einsetzen. In diesen Organisationen findet sich aber leider ein Widerspruch – sie glauben pessimistisch daran, dass es keine bessere Alternative zum jetzigen System gibt, versuchen aber die Idee zu verkaufen, dass du für nur 2,50€ im Monat die Welt retten kannst.
Selbst die meist gut informierten, ernsthaften Schulstreiks fürs Klima präsentieren nur Teillösungen, da sie nicht willig sind, sich gegen die unendliche Profitgier des Kapitalismus zu stellen. Auch zu versuchen, einzelne Arten zu retten, trifft nicht den Punkt. Wenn das Problem im System liegt und Ökosysteme zerfallen, können wir keine einzelnen Arten retten, ohne langfristig auch ihren Lebensraum zu retten. Wir können ein vom Kapitalismus geschaffenes Problem nicht bekämpfen, indem wir die kapitalistischen Theorien und Praktiken einfach auf Ökosysteme und die Biodiversität anwenden. Und uns läuft die Zeit davon.
Die Situation mag vielleicht hoffnungslos erscheinen, vor allem wenn man die 1,9 Billionen Dollar betrachtet, die seit 2015 in fossile Energien investiert worden sind. Auch im Pariser Klimaabkommen hat man sich darauf geeinigt, die Temperaturerhöhung im Vergleich zu vorindustriellen Temperaturen auf 1,5 °C zu beschränken – doch sind die Emissionen seit dem sogar um 4 Prozent gestiegen.
Die eigentliche Lösung für diese Klima- und Biodiversitätskrise liegt darin, unser Verhältnis zur Natur vollständig zu transformieren. Man kann zum Beispiel sehen, dass beschädigte Ökosysteme recht schnell „repariert“ werden können. Die aktuelle Dokumentation „The Biggest Little Farm“ hat gezeigt, wie eine moderne „Dust-Bowl“-Farm in Kalifornien in nur sieben Jahren in eine fruchtbare, produktive Farm umgewandelt werden konnte. Durch sorgfältiges Bepflanzen, das Austragen großer Mengen an natürlichem Dünger (Pferdemist), der Ansiedelung verschiedener heimischer Tierarten und der Rückgabe des Lebensraums wilder Tierarten konnte grauer Staub zu schöner dunkelbrauner Erde verwandelt werden. Schädlinge wie Schnecken und Ratten wurden unter Kontrolle gebracht, da sie Beute für Enten, Eulen und Füchsen wurden. Selbst bei starkem Regen blieb die Erde intakt und wurde nicht in die nahegelegenen Flüsse gespült.
Die Hoffnung ist noch lange nicht verloren, auch wenn die kapitalistische Klasse und ihre Freunde in der Regierung ihre Profite nicht so einfach aufgeben werden. Es ist nötig, den eisernen Griff, den der Kapitalismus um unsere Welt, hat zu zerstören und ihn durch ein sozialistisch organisiertes System zu ersetzen. Renaturierung und andere Formen des Schutzes der biologischen Vielfalt werden so eher erfolgreich sein, da ein demokratischer und rationaler Ansatz in Bezug auf die Lebensmittelproduktion und unseren Umgang mit Natur und natürlichen Ressourcen andere Lebensformen nicht dazu zwingen wird, mit dem Konzept der Profitmaximierung in Konkurrenz zu treten. Auf diese Weise könnten wir unsere Beziehung zu unserem Planeten reparieren, unser ökologisches Verständnis entwickeln und uns vom Dreck einer ganzen Ära befreien. So könnten wir eine nachhaltige Zukunft gestalten und das Leben auf der Erde retten – unserem einzigen Zuhause.
Dieser Artikel von Text von Sarah Ensor erschien zuerst im Socialist Review und wurde von Julian C. Samek aus dem Englischen übersetzt.
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