Grassierende Polizeigewalt, Rassismus, Armut: Durch die Geschichte der Vereinigten Staaten zieht sich ein roter Faden der Unterdrückung. Wie 1992 sehen wir heute Aufstände, die das Potential haben, dieses System zu erschüttern. Wie kam es dazu? Warum gelang die Wende damals nicht? Und was können wir aus der Vergangenheit für die Kämpfe von heute lernen?
These: Historisches Ereignis
Die Welt steht in Flammen. Im Innern der Stadt verschlingen die Feuer viele Institute des Systems, das den Brand ausgelöst hat; Polizeigebäude, Gerichtshöfe, Einkaufszentren. Sie alle sind verlassen, aufgegeben; es herrschen Zustände, welche man durchaus mit einem Bürgerkrieg gleichsetzen kann. Wenn, wie Dr. King sagte, der Aufstand die Stimme der Ungehörten ist, dann lässt sich nur erahnen, wie lange man sich taub gestellt haben muss, damit es zu einem solchen Urschrei kommen kann. Sie schießen auf uns, wir schießen zurück. Sie schlagen auf uns ein, wir schlagen zurück. Ursprünglicher kann ein Protest nicht sein, verständlicher, schlagkräftiger.
Und doch verhallte er in der Geschichte, nicht mehr als ein Echo, ein Phantom.
Was Euch gerade beschrieben wurde, ist nämlich nicht, was gerade in den USA passiert. Wir sehen dort heute eine Neuauflage dessen, was im Süden Los Angeles‘ 1992 bereits die Welt, und sei es nur für einen kurzen historischen Moment, den Atem geraubt hat. Auch damals war es Empörung über Polizeigewalt und Rassismus, welche den Zündstoff für die Aufstände lieferten; wie heute waren es Wut und Verzweiflung, welche die Menschen auf Straßen und Barrikaden trieb. Aber was genau war passiert?[1]
Am 3. März 1991 wurde der Afroamerikaner Rodney King von einer Verkehrskontrolle angehalten. Da er befürchtete, wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen zu werden,[2] floh er im Wagen vor der Polizei. Nach einer kurzen Verfolgungsjagd wurde King einige Kilometer weiter von den Beamten gestoppt, aus dem Wagen gezerrt und mit äußerster Brutalität (Mindestens 50 Schlagstockhiebe und sechs Fußtritte) am Boden liegend misshandelt. King überlebte den Vorfall, gerade so, mit einem Schädel- und Jochbeinbruch, mehreren gebrochenen und angebrochenen Knochen im ganzen Körper sowie mehreren weiteren Verletzungen, unter anderem Verbrennungsmale im Brustbereich, von dem Taser, welcher ihn ursprünglich außer Gefecht gesetzt hatte.
WARNUNG: Das folgende Video zeigt Szenen brutaler Gewalt. (ABC News zu Rodney King, 7. März 1991)
Es ist verstörend, wie ähnlich sich der Fall Rodney King und der Tod George Floyds im Grad der exzessiven Gewalt, die gegen sie angewendet wurde, sind. Und wie beim Tod Floyds kam es nur deshalb zu offiziellen Schritten von Seiten der Justiz und der Regierung, da ein Anwohner die Ereignisse gefilmt hatte. George Holliday filmte damals die Ereignisse, schickte das Material an einen lokalen Sender, und das Video sorgte für internationale Empörung.
Aber nicht nur der Angriff auf Rodney King wird häufig mit dem Ausbruch der Aufstände in Verbindung gebracht. Lediglich 13 Tage nach dem Angriff auf King wurde die 15-jährige Latasha Harlins von einer koreanischen Ladenbesitzerin erschossen, welche ihr vorwarf, eine Limonade stehlen zu wollen. Latasha starb mit dem Geld in der Hand, mit welchem sie gerade bezahlen wollte. Trotz der Tatsache, dass die Schuld der Ladenbesitzerin eindeutig festgestellt wurde (wie aus Dokumenten des Berufungsgerichts hervor geht[3]), und obwohl die Jury eine Strafe von 16 Jahren forderte, blieb die Täterin auf freiem Fuß: Fünf Jahre auf Bewährung, Sozialstunden und ein Bußgeld erschienen dem Richter als angemessen. Unter anderem verstärkte das die ethnischen Spannungen zwischen Afroamerikanerinnen, Afroamerikaner und koreanischen Eingewanderten, aber dazu später mehr.
Diese, den Umständen entsprechend, erschreckend milde Verurteilung wurde nur kurze Zeit vor der Verhandlung gegen die Polizisten, welche Rodney King misshandelten, ausgesprochen. Auf Grund des Filmmaterials wurde das Gerichtsverfahren von einem großen öffentlichen Interesse begleitet. Nach sieben Tagen der Verhandlung entschied die Jury, welche nicht ein einziges afroamerikanisches Mitglied hatte, die Polizisten von allen Anklagepunkten freizusprechen.[4]
Die Ausschreitungen starteten direkt am 29 April 1992. Um 15 Uhr hielt der Bürgermeister von LA, Tom Bradley, eine öffentliche Rede, in der er den Freispruch der Polizisten als unverständlich bezeichnet:
„We saw what we saw, and what we saw was a crime“.[5]
Der tatsächliche Ausbruch der Aufstände wird in der 71. Straße verortet; 12 Polizisten* versuchten, einen 16-Jährigen festzunehmen, der, wie sie vermuteten, etwas auf eines der Polizeiautos geworfen hatte. Womit die Beamten nicht gerechnet hatten, war, dass die umliegende Nachbarschaft auf das Treiben aufmerksam wurde. Mehrere Dutzend Personen hatten sich in kurzer Zeit auf der Straße eingefunden, belagerten die Polizei, zwangen diese zum Rückzug und verhinderten so die Verhaftung des Jugendlichen[6].
Von da aus begann eine Spirale der Eskalation, welche die ganze Stadt in einen bürgerkriegsähnlichen Zustand versetzte, mit Plünderungen, Brandstiftung, Körperverletzungen und Mord. Die Sicherheitskräfte hatten die Kontrolle verloren. Bis zum 3. Mai, nachdem die Nationalgarde in der Stadt mehr oder minder die Kontrolle übernommen hatte, gingen die Ausschreitungen unkontrolliert weiter. Der Ausnahmezustand wurde bis zum 14. Mai nicht aufgehoben und die Nationalgarde erst am 17. Mai abgezogen.
Während der Ausschreitungen wurden etwa dreieinhalbtausend Gebäude zerstört oder beschädigt, Eigentumsschaden von etwa einer Milliarde Dollar angerichtet und mindestens 63 Menschen getötet, davon mindestens zehn durch direktes Feuer der Beamten.[7]
Dieses Maß an Gewalt, welches damals ausbrach, die Polizeigewalt, in welcher wir heute im Tod Floyds ein historisches Echo sehen, und die Unfähigkeit der Justiz, dieser Einhalt zu gebieten (wie beispielsweise im Fall Treyvon Martin) – all das hat tiefe Wurzeln im US-amerikanischen System, und nur durch sie kann man begreifen, mit welcher Kraft eben dieses System auf jeder Ebene gegen die Nicht-Weiße Bevölkerung wirkt.
Antithese: Von der Repression
Selbstverständlich beginnt eine historische Rückschau der Beziehung der schwarzen Minderheit in den Vereinigten Staaten und dem dortigen Justizsystem mit dem internationalen Sklavenhandel im 15. bis 18. Jahrhundert, diese Periode wurde aber an anderer Stelle bereits in der ihm dargebotenen Sorgfältigkeit besprochen.[8]
Die komplizierte Beziehung zwischen der schwarzen Bevölkerung und der formal organisierten Zivilpolizei in den Vereinigten Staaten (und in beinahe allen Kolonie haltenden Imperien) beginnt spätestens mit dem Ende der Sklaverei 1865.
Während im 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten die Abschaffung der Sklaverei und die Gleichheit aller Menschen postuliert wird, führt sie gleich in Abschnitt 1 dieses Paragrafen die Möglichkeit zur Sklaverei als „Strafe für ein Verbrechen, dessen die betreffende Person in einem ordentlichen Verfahren für schuldig befunden worden ist“ direkt wieder ein. Als direkte Konsequenz daraus erwuchs ein Rechtssystem, das darauf beruhte, billige Arbeitskräfte für den Markt bereitzustellen. Die sogenannte Praxis des „convict leasing“, bildete den Kern vieler Wirtschaften in den amerikanischen Bundesstaaten für über ein Jahrhundert.[9]
Genau bezeichnet diese Praxis ein System, in dem etwa zwischen 1865 und 1945, mit Ausnahmen gar bis in die 1970er hinein, öffentliche Aufträge durch unbezahlte Arbeit von Häftlingen erledigt wurden, häufig auf den Plantagen, auf denen sie als Sklaven wenige Jahre zuvor noch selbst gearbeitet hatten. Unterfüttert wurde diese Praxis durch die übermäßige, harte Bestrafung vorwiegend schwarzer Männer für geringe Ordnungswidrigkeiten oder minderer Verbrechen.
Der berühmte US-amerikanische Historiker und Kommentator Douglas A. Blackmon beschreibt es folgendermaßen:[10]
„(…)es war eine Form von Unterdrückung unterschiedlich von der der Art im alten Konföderierten Süden; für die meisten Männer und Frauen, die davon betroffen waren, war diese Sklaverei nicht lebenslänglich und wurde nicht automatisch auf die nächste Generation übertragen. Aber es war nichtsdestotrotz Sklaverei, ein System, in dem Armeen von freien Männern, unschuldig der ihnen zur Last gelegten Verbrechen, und vom Gesetz her zur Freiheit berechtigt, gezwungen waren, Arbeit ohne Kompensation zu leisten, sich kaufen und verkaufen zu lassen und gezwungen waren, den Willen ihrer weißen Herren unter der Androhung und Ausführung außerordentlicher physischer Gewalt auszuführen.“
Als würde die Geschichte darauf bestehen, sich zu wiederholen, beginnt die früheste Selbstorganisation der schwarzen Bevölkerung in den USA gegen genau dieses System während der letzten weltweiten Pandemie, der Spanischen Grippe von 1919/20. Was in den US-Geschichtsbüchern als „Red Summer“ bezeichnet wird, beschreibt den historischen Moment, in dem die afroamerikanische Gemeinschaft auf eine Welle von Pogromen mit bewaffneten Nachbarschaftswachen reagierte,[11] und die Gewalt, welche seit jeher von der weißen Bevölkerung gegen sie gerichtet wurde, effektiv zum Erliegen brachte. Dieser Akt der Organisation legte den Grundstein für das, was später die Bürgerrechtsbewegung, die Black Panther und andere revolutionäre afroamerikanische Bewegungen werden sollten. Mit einem Mix aus gewaltfreien und militanten Aktionen gelang es der Minderheit so, dem rassistischen System Bürgerrechte (Wahlrecht, Zugang zu Bildung und Sozialsystemen, Gleichberechtigung vor allen öffentlichen Instanzen, etc.) abzutrotzen. Die Reaktion des kapitalistischen weißen Systems, um seine Hegemonie und angenommene Stabilität fürchtend, war ein schier unglaublicher Aufwand, die afroamerikanischen Gemeinschaften zu erodieren und so mit aller Macht eine Organisation bereits im Keim zu ersticken.
Hier sollte die Strategie der Republikaner im amerikanischen Süden erwähnt werden, die darauf abzielte, die vorherrschende Panik in der weißen Bevölkerung vor einer völligen Gleichstellung der Schwarzen in Wahlerfolge umzuwandeln, die sogenannte „Southern strategy“. Sie wurde von einem politischen Berater der Republikanischen Partei, Lee Atwater, 1981 in einem berühmt gewordenen Interview folgendermaßen beschrieben, und zeigt eine direkte Verbindung zwischen Neoliberalismus und dem rassistischen System auf: [12]
„(…) 1954 sagten wir noch alle ‚N*, n*, n*‘. 1968 konnte man „n*“ nicht mehr sagen, das hätte dir politischen Schaden zugefügt. Also sagten wir Sachen wie „Forced Busing“ (Rassentrennung im Nahverkehr), lokale Staatsrechte und all das. Wir wurden so abstrakt, dass wir jetzt über Steuersenkungen redeten und all diese absolut ökonomischen Sachen, die eher im Nebenprodukt eben Schwarzen mehr Schaden zufügen als Weißen. (…) ‚Wir wollen dies und jenes Einsparen‘ hört sich eben sehr viel besser an als ‚N*, N*‘ (..)“
Nicht nur wurden von Polizei und faschistisch-rassistischen Organisationen wie dem Ku-Klux-Klan (in vielen Aktionen mindestens mit der Duldung letzterer durch erstere) Aktivistinnen und Aktivisten gewalttätig bedrängt, ermordet, gelyncht. Jeder Aspekt der Bürgerrechtsbewegung wurde in den weißen Medien und in den weißen Diskursen als radikal, gewalttätig, systembedrohend und unmoralisch dargestellt. Egal, ob Malcolm X militanter, oder Martin Luther Kings pazifistischer Ansatz – schwarzer Aktivismus war für diese Agenten des Systems eine, man kann es nicht anders ausdrücken, zu beseitigende Gefahr.[13] Auch wenn es in beiden Fällen noch viele offene Fragen gibt, scheint klar, dass sowohl die Ermordung Kings als auch X‘s als Akte rassistischer Gewalt Ergebnisse dieser Hysterie, dieses Systems, dieser Zielsetzung waren. Diese und viele weitere Morde an Stimmen und Organisatoren der Gemeinschaften waren systemische Reaktionen, die eine Solidarisierung afroamerikanischer Gemeinden schwerer und schwerer machen würden.
Ein weiterer elementarer Baustein zur Bekämpfung der Bürgerrechtsbewegung war der „war on drugs“, der „Drogenkrieg“, welcher von allen Administrationen seit Richard Nixon verfolgt wurde: die harsche Kriminalisierung jeder Art von Betäubungsmittel, vorwiegend aber des Konsums von Cannabis, das Weiße und Schwarze in den USA in derselben Rate konsumieren, Schwarze aber bis heute vor Gericht fast viermal härtere Strafen erhalten[14], und in den Achtzigern die Bekämpfung der Crack-Epidemie (einem billigen Ersatzprodukt für Kokain), welche aber zumindest ihren Ursprung in der Verbreitung der Droge für die Finanzierung von CIA-Operationen im Ausland findet und den US-Diensten somit eine Teilschuldigkeit in der Verbreitung von Crack zugeschrieben werden muss.[15] Ganze Gemeinden wurden erneut sozial und physisch ghettoisiert; in den Hollywoodfilmen der Zeit tauchte nun häufiger das Stereotyp des schwarzen „Gangsters“ auf, genauso wie in Literatur und Fernsehen. Auf diese Weise wurde der Begriff des „Thugs“ populär, mit der viele moderne rassistische Legislaturen begründet wurden, Michael Bloombergs „Stop and Frisk“, eine Praxis, nach der Straßenkontrollen nach offen „rassischen“ Profil durchgeführt wurden, George Bushs Drogenbekämpfung, unter der Familien aus ihren Häusern vertrieben wurden, sobald in diesen Drogengeschäfte vermutet wurden, oder Donald Trumps Politik, wegen ihnen Nationalgarde und gar Militär auf die Bevölkerung loszulassen.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass das System ebenfalls den Rassismus gegenüber anderen Minderheiten als Waffe zu benutzen scheint. Ein passendes Beispiel hierfür ist tatsächlich der bereits erwähnte Mord an Latasha Harlins 1991. Es spielt in der Analyse eine wichtige Rolle, dass die Täterin damals ebenfalls Mitglied einer Minderheit war. Der Soziologe Falguni Sheth entwarf 2009 in seinem Buch „Zu einer politischen Philosophie des Rassenbegriff“ die Idee von „Grenzpopulationen“. Seine Idee ist, dass eine Mehrheit bestimmten Minderheiten bestimmte gesellschaftliche Rechte oder Anerkennung zukommen lässt, wenn eine größere Minderheit im Land eine höhere Gefahr für die Hegemonie der Mehrheit darstellt, zum Beispiel der schwarzen Bevölkerung im Kontrast zur – bis dahin unorganisierten – koreanischen Bevölkerung.
Ähnlich wie in der marxistischen Theorie, in der die Arbeiteraristokratie die Verwaltung der Ausbeutung übernimmt und dafür mit einem kleinen Teil des Kapitals belohnt wird, haben in diesem Konzept die etwas privilegierteren Minderheiten einen geschützteren Status vor dem Gesetz und, ganz besonders vor der Justiz, auch dafür, dass sie den rassistischen Druck auf die organisierte Minderheit erhöhen. Ähnliches sah man auch, ebenfalls in den USA, in den 1930er Jahren, in denen die Diskriminierung von irischen, italienischen, polnischen und lateinamerikanischen Einwanderern gelockert wurde im Kontrast zur beginnenden Bürgerrechtsbewegung[16] oder in den Überseekolonien der europäischen Imperien, die bestimmte besetzte Völker zur Überwachung der Anderen einsetzte. Dies zeigt die Verschränkung von Justiz und Rassismus als Instrument der Repression. [17]
Durch die schwarze Geschichte der Vereinigten Staaten zieht sich die Gewalt der Polizei als roter Faden in einem Kampf zwischen der Anerkennung von Menschlichkeit und dem Rassismus, der diese ihnen verweigern möchte. Es scheint eine historische Dialektik vorzuliegen, zwischen Unterdrückung, Organisation, härterer Repression und härterem Widerstand, welche immer schier undurchdringlich scheint und, in bittertreffenden Worten, die Luft zum Atmen zu nehmen scheint. Doch wir sind in dieser Geschichte jetzt an dem Punkt angelangt, an dem wir sehen können, worin der Unterschied zwischen Heute und den Los Angeles Riots 1992 besteht.
Synthese: Die Organisation ist der Schlüssel
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass, so groß der entstandene Schaden innerhalb der Stadt Los Angeles auch war, so groß die Aufstände an sich auch waren, so gering waren die tatsächlichen Folgen dieser Aufstände. Der Historiker Gooding Williams hat in seiner Studie über die Rassenunruhen 1992 festgestellt, dass dieser Fakt vorwiegend der Tatsache zuzuschreiben ist, dass es der Berichterstattung über die Aufstände gelungen ist, sie zu entpolitisieren, ja, sogar die politische Dimension als unverständlich darzustellen.[18]
Von den Medien über die weißen Diskurse im Allgemeinen bis hin zu Präsident George W. Bush war die schwarze Perspektive scheinbar derart uneinnehmbar, dass es technisch gesehen gelang, sie zu ignorieren – sie als historisches Phantom zwar in die Geschichtsbücher eingehen, sie aber doch auf deren Seiten verstauben zu lassen.
Doch was sagt uns das über die heutigen Unruhen aus? Über die Protestaktion von Colin Kaepernick? Was sagt uns das über den Aktivismus von Black Lives Matter? Und was sagt uns das über den aktuellen Diskurs über den Tod von George Floyd? Immerhin sind es dieselben Problematiken, die Ungerechtigkeit und Rassismus im polizeilichen und politischen System der Vereinigten Staaten, die selben Unterdrücker und dieselben Taktiken (beispielsweise wird sich in den traditionellen Medien heute ebenfalls mehr auf die gewalttätigen Plünderungen anstatt auf die zivilen Proteste konzentriert).
Ein Grund zur Hoffnung gibt eine Idee des Soziologen Niklas Luhmann. Dieser beschreibt, dass die Kernaufgabe ideologischer Organe (wie Bewegungen oder Parteien) in einer Gesellschaft die ist, dass sie dazu fähig sein muss, Mittel zur Kommunikation zu produzieren und zu verbreiten.[19]
Und das ist der Knackpunkt. In den 1990ern wurde die Selbstorganisation der schwarzen Bevölkerung derart zersetzt und zerstückelt, dass sie es nicht schaffte, die Proteste mit all ihrer politischen Botschaft und all ihrem politischen Ursprung in eine Botschaft zu verpacken, über welche schlicht diskutiert werden musste, die nicht wegdiskutiert werden konnte. Und hier erleben wir heute genau das Gegenteil. Vom Knien während der Nationalhymne zum Besprechen rassischer Themen im öffentlichen Diskurs; „I can’t breathe“, „no justice, no peace“, vor allem aber das spontane Organisieren von politischen Veranstaltungen rund um den Globus; die Eruptionen globaler Diskussionen und der internationalen Anteilnahme und Solidarisierung deuten auf eine vorhandene Organisation hin, die so gesund, funktionabel und stabil ist, dass sie eine neue Hochphase des Aktivismus gegen Polizeigewalt und Rassismus bilden kann. Wie in den 1920ern, den 1950ern und 1960ern könnten wir heute einen erneuten Fortschritt im Kampf um Humanität, Antirassismus und Antifaschismus erkennen. Was diese Zeiten gemeinsam hatten war eine starke selbst- und klassenbewusste afroamerikanische Bevölkerung in den USA. Und die aktuellen Proteste geben mehr als Anlass zur Hoffnung, dass die 2020er ebenfalls so eine Zeit sind.
Wie Flo Kennedy, die schwarze Aktivistin und Vorreiterin eines klassen-, rassen-, geschlechts-, und sexualitätsübergreifenden Ansatzes zur Bekämpfung von Ungerechtigkeiten, sagte:
„Don’t agonize, organize!“
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Anmerkungen und Quellen:
[1] Vgl. hierzu: https://www.britannica.com/event/Los-Angeles-Riots-of-1992
[2] https://www.questia.com/read/9301247/official-negligence-how-rodney-king-and-the-riots
[3] https://caselaw.findlaw.com/ca-court-of-appeal/1769555.html
[4] https://www.nytimes.com/1992/05/06/us/after-the-riots-a-juror-describes-the-ordeal-of-deliberations.html
[5] https://youtu.be/G3apsjAh3dc
[6] https://www.nytimes.com/1992/07/31/news/in-los-angeles-riots-a-witness-with-videotapes.html
[7] https://latimesblogs.latimes.com/lanow/2012/04/los-angeles-riots-remember-the-63-people-who-died-.html
[8] https://etosmedia.de/politik/rasse-eine-kapitalistische-erfindung/
[9] https://usa.usembassy.de/etexts/gov/gov-constitutiond.pdf
[10] Blackmon, Douglas A., „Slavery by Another Name: The Re-Enslavement of Black Americans from the Civil War to World War II“, Seite 4
[11] https://time.com/5636454/what-is-red-summer/
[12] https://www.thenation.com/article/archive/exclusive-lee-atwaters-infamous-1981-interview-southern-strategy/
[13] https://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=125355148
[14] https://www.aclu.org/report/report-war-marijuana-black-and-white
[15] Gary Webb: “Dark alliance: the CIA, the Contras, and the crack cocaine explosion.“ New York, Seven Stories Press
[16] https://www.pitt.edu/~hirtle/uujec/white.html
[17] Sheth, Falguni. Towards a Political Philosophy of Race. Albany: SUNY, 2009.
[18] Gooding-Williams, Robert. Reading Rodney King/Reading Urban Uprising. London: Routledge, 1993.
[19] Niklas Luhmann, „Soziale Systeme“, Suhrkamp, 2018, 17.