Das Schachbrett des Teufels. Die CIA und der Aufstieg Amerikas heimlicher Regierung.

David Talbot hat für dieses Monumentalwerk eine Vielzahl einschlägiger Archive der USA durchforstet, freigegebene Dokumente der CIA ausgewertet, Zeitzeugen interviewt. Gegenstand des Buches ist der Kampf der Mächtigen in den USA um die Formulierung und Durchsetzung innen- und außenpolitischer Ziele – nötigenfalls durch Krieg und Mord. US-Politik entpuppt sich als Kampf zwischen der „realen Macht“ des Großkapitals einerseits, vertreten durch Mineralöl- und Technologiekonzerne, die Interessen der Wallstreet und ihrer hochdotierten Anwaltskanzleien und reformerischen Politikansätzen wie insbesondere des New Deal Roosevelts, aber auch John F. Kennedys andrerseits, die von diesen Kräften geradezu als Systemfeinde wahrgenommen und kompromisslos bekämpft werden.

Die zentrale Zeitspanne der Untersuchung umfasst die Zeit des 2. Weltkriegs bis zur Ermordung der Kennedy-Brüder – also den Bogen von Roosevelts sozialen und ökonomischen Reformen und der antifaschistischen Allianz mit der Sowjetunion bis zu Kennedys Versuchen, eine antirassistische Politik im Inneren einzuleiten, einen Ausgleich mit der Sowjetunion zu suchen und die Legitimität der Unabhängigkeitsbewegungen der „Dritten Welt“ anzuerkennen, die in der Wahrnehmung der Mächtigen deren weltweite Rohstoffinteressen gefährdete und daher als kommunistisch oder zumindest kommunistisch gesteuert wahrgenommen oder denunziert wurde.

Die „kommunistische Gefahr“ ist gewissermaßen der rote Faden, der die gesamte von Talbot aufbereitete jüngere Geschichte der USA durchzieht. Festgemacht wird sie an der Person von Allan W. Dulles, dem Gründer und langjährigen Chef der CIA und, als Korrelat, seinem Bruder und Außenminister John Foster Dulles. Die Darstellung beginnt mit der Rolle von Allan Dulles, der von der Schweiz aus als oberster Geheimdienstler der USA in Europa eigenmächtig Verhandlungen mit Himmlers SS und Teilen der Wehrmachtsführung führte, um einen Frontwechsel hin zu einer Allianz gegen die Sowjetunion zu organisieren. Damit verstieß er klar gegen die außenpolitischen Grundsätze seines Präsidenten. Die Verflechtung ökonomischer Interessen und politischer Zielsetzungen wird besonders deutlich im Agieren der Wallstreet-Kanzlei der Dulles-Brüder, wo der spätere Außenminister Foster die deutschen Konzerne wie IG Farben vertrat, die aus der Politik der „Vernichtung durch Arbeit“ jüdischer Deportierter enorme Gewinne zogen.

Die im Krieg geknüpften Verbindungen zu den Spitzen der Nazi-Barbarei hielten auch nach Kriegsende: Es war Allen Dulles, der einer großen Zahl von Kriegsverbrechern – teils in Zusammenarbeit mit dem Vatikan – zur Flucht vor allem nach Südamerika verhalf („Rattenlinie“). Doch nicht nur das: Er betrieb erfolgreich die Übernahme von Hitlers Geheimdienst an der Ostfront („Fremde Heere Ost“) durch den amerikanischen Geheimdienst (S. 237 ff): Diese Organisation verfügte über ein verzweigtes Agentennetz in der Sowjetunion und über raffinierte Methoden systematischer Folter. Der Dienst arbeitete bis 1956, als er offiziell der Bundesrepublik unterstellt wurde und den Namen Bundesnachrichtendienst erhielt, unter ausschließlicher Aufsicht der CIA. Das Führungspersonal bestand größtenteils aus Spitzenkräften der SS und des SD. Der Kampf gegen den Bolschewismus war das einigende Band zwischen CIA und unverbesserlichen Altnazis.

Welche Dimensionen diese Zusammenarbeit annahm, belegt Talbot im Detail, wenn er etwa einen von der Bundesregierung heruntergespielten Skandal benennt: „1952 entdeckte die westdeutsche Polizei, dass die CIA die zweitausend Mitglieder starke neonazistische Jugendorganisation Bund Deutscher Jugend unterstützte, die von ehemaligen Nazioffizieren geführt wurde und ihre eigenen Pläne zur Beseitigung der Demokratie verfolgten.“ So wurde in den Unterlagen der Organisation eine schwarze Liste von Personen gefunden, die „im Falle eines Konflikts mit der Sowjetunion liquidiert werden sollten.“ (S. 249). Mehrfach verweist Talbot auch auf „Gladio“, jene “stay behind forces“ der NATO, die im Falle einer sowjetischen Invasion Sabotageakte hinter der Front begehen sollten. Diese Organisation aus ehemaligen Faschisten und Kriminellen war für Terrorakte und Morde vor allem in Italien verantwortlich, um die Regierungsbeteiligung linker Kräfte zu verhindern, hochrangige Mitarbeiter der CIA nahmen an Tagungen mit dieser kriminellen Organisation teil (S. 432).

Einen der Höhepunkte des Buches stellt die Analyse der Schweinebucht-Invasion (1961) dar: Im Auftrag der USA sollten mehrere hundert Exil-Kubaner auf Kuba landen und das dortige Regime stürzen. Eine Vielzahl von inzwischen freigegebenen Dokumenten analysierend vertritt Talbot überzeugend die monströs erscheinende These, dass die Invasion so geplant war, dass die scheitern musste (S. 363ff): Die Gefangennahme der Invasoren durch das Militär Castros sollte den frisch gewählten Präsidenten Kennedy dazu veranlassen, eine großangelegte Invasion mit Luft- und Seestreitkräften und Landetruppen in Kuba zu unternehmen, um Castro ein für alle Mal den Garaus zu machen. In den kühnen Träumen der CIA-Führung und des Generalstabs hätte die Krise dahingehend eskaliert werden können, dass Gelegenheit zu einem atomaren Enthauptungsschlag gegen die Sowjetunion geboten hätte. Kennedys Weigerung, diesen fatalen Schritt zu gehen, so suggeriert Talbot, war einer der Gründe für seine Ermordung, die den Höhepunkt des Buches darstellt.

Ein weiterer Grund der Gegnerschaft der Ölkonzerne, der Rohstofffirmen, der Monopole wie United Fruit und der geballten Kapitalinteressen der Wallstreet war Kennedys Haltung gegenüber den Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, in denen er die Verwirklichung von Grundprinzipien der amerikanischen Verfassung und die Chance für eine bessere und gerechtere Welt sah. Für das Großkapital waren sie schlicht kommunistisches Machwerk. So hatte die CIA ihre Hände im Spiel beim Putsch gegen den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten des Iran, Mossadegh, bei der Ermordung Patrice Lumumbas im Kongo, beim Putsch der der französischen Generäle 1961 in Algier gegen den (1958 von ihnen an die Staatsspitze zurück gebrachten) französischen Präsidenten Charles de Gaulle, weil dieser bereit war, die Unabhängigkeit Algeriens anzuerkennen.

So erscheint auch die ausführlich behandelte antikommunistische Hysterie der McCarthy-Ära in ihrer wirklichen Dimension: Ihr Ziel war die Ausrottung all jener liberalen und demokratischen Kräfte im Land, die – von Roosevelt bis Kennedy – die absolute Macht der Konzerne in Schranken zu verweisen versuchten. Dies alles an der Person des als Abgrund des Bösen qualifizierten Allen W. Dulles festzumachen, mag dem Buch seinen Bestseller-Status verschafft haben. Doch diese Personifizierung ist zu einfach. Hinter der Figur des langjährigen Geheimdienstchefs lassen sich die Kräfte identifizieren, die die reale Macht im Staate verkörpern und nötigenfalls nicht vor dem Mord am gewählten Präsidenten zurückschreckten.

Talbot wird der Bannstrahl des Verschwörungstheoretikers treffen, denn er widerspricht autoritativ gesetzten „Wahrheiten“. Damit stellt sich nach der Lektüre dieses wichtigen und erschütternden Buches die grundsätzliche Frage, was denn eine Verschwörungstheorie sei. Es bleibt die beklemmende Antwort, dass es Teil der Strategie der tatsächlichen Verschwörer sein könnte, die von ihnen selbst in die Welt gesetzten Legenden dadurch zu verteidigen, dass jede Infragestellung solcher Legenden – und seien sie noch so fundiert und solide recherchiert – mit dem Begriff der „Verschwörungstheorie“ disqualifiziert wird. Der Kampfbegriff der „Verschwörungstheorie“ erscheint so als Instrument, das verhindern soll, den lügenhaften Deckmantel der tatsächlichen Verschwörungen lüften.

Eine Besprechung von Werner Ruf, die in der kommenden Ausgabe von Inamo erscheint.
„Das Schachbrett des Teufels“ kann hier bestellt werden!

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