Critica eine sozialistische Massenzeitung – Im Gespräch mit Alexander Hummel

Gedruckte Zeitungen verlieren an Auflage, zumindest, wenn es um bundesweite und regionale Tageszeitungen geht. Politische Zeitungen mit einer klaren Ausrichtung dagegen haben hohen Zulauf. Eine dieser Zeitungen ist die Critica, die kostenlose Zeitung des Studierendenverbands der Linken. Wir haben mit einem ihrer Macher, Alexander Hummel, über die neuste Ausgabe (die ihr euch hier downloaden könnt), Journalismus für Studierende und die Relevanz gedruckter Publikationen gesprochen.
Die Freiheitsliebe: Vor wenigen Tagen ist die neue critica rausgekommen, womit beschäftigt sie sich?

Alexander Hummel: Der Fokus der Ausgabe liegt eindeutig auf den Bundestagswahlen. Bei diesen wird es darum gehen, ob sich der gesellschaftliche Rechtsruck der letzten eineinhalb Jahre verfestigt. Um die Wahlen zu beleuchten setzen wir uns mit Schein und Sein der Flüchtlingspolitik Angela Merkels auseinander, blicken hinter den Schulz-Hype und zeigen, warum DIE LINKE die wichtigste Kraft gegen den Rechtsruck ist. Ein Highlight ist sicher auch der Mittelteil, in dem wir verschiedene Aspekte der „neuen Lust am Krieg“ in Europa darstellen. Wir haben dafür viel recherchiert, um einen Überblick über solche Themen wie die Diskussionen um eine EU-Armee, dem Säbelrassen an der NATO-Ostgrenze und den deutsche Exports von Handfeuerwaffen geben zu können. Daneben finden sich in der Ausgabe unter anderem noch das Thema einer möglichen Wiedereinführung von Studiengebühren, eine Auseinandersetzung mit dem geplanten G20-Gipfel in Hamburg sowie eine kritische Analyse zu den politischen Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Die Freiheitsliebe: Was unterscheidet die critica von anderen Zeitungen?

Alexander Hummel: Mit 100.000 gedruckten Exemplaren pro Ausgabe ist die critica die auflagenstärkste von Studierenden erstellte Zeitung Deutschlands. Einmal im Semester wird sie an etwa 50 Hochschulen und Universitäten im gesamten Bundesgebiet verteilt. Allein das macht sie einzigartig.
Für wichtiger halte ich aber das inhaltliche Profil. Viele nehmen uns nur als kritische Studi-Zeitung war. Mich stört das nicht sonderlich, denn es stimmt ja auch, dass wir kritisch gegenüber den herrschenden Zuständen sind. Eigentlich ist die critica aber auch als sozialistische Massenzeitung für Studierende konzipiert. Das klingt erstmal ziemlich radikal, vielleicht auch im schlechten Sinne ideologisch oder sektiererisch. So als würden wir in jedem Artikel zur Abschaffung des Kapitalismus, Klassenkampf und zentralistischer Planwirtschaft aufrufen [lacht]. Bis auf letzteres machen wir das zwar auch gelegentlich, aber meist geht es erstmal darum neben der kritischen Beschreibung der Zustände, unseren LeserInnen Wege aufzuzeigen wie sie gemeinsam aktiv werden können, damit sich etwas ändert. Das kann auch etwas unspektakuläres sein, indem wir erklären, was Studierende tun können, wenn sie Räume für eigene, kritische Veranstaltungen an Hochschulen verweigert bekommen oder welchen Nutzen eine allgemeine Selbstvertretung von Studierenden an der Hochschule, meist AStA genannt, für sie hat.
Das Einstehen für einen kritischen, massenhaften Aktivismus sowie solidarische und kollektive Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme, macht meiner Meinung nach eine sozialistische Massenzeitung auf Höhe der Zeit aus. Diskussionen über Themen wie Rätedemokratie und die Geschichte der Arbeiterbewegung sowie literweiße Rot braucht es hingegen nicht.

Die Freiheitsliebe: Die Critica richtet sich vor allem an Studierende, unterscheiden sich Studierende von anderen Leserinnen und Lesern?

Alexander Hummel: Auf alle Fälle. Würden sie es nicht, dann würden sich solche Zeitschriften wie neon, die sich speziell an ein Studierendenmilieu wenden, nicht so gut verkaufen. Entscheidend ist aber die Frage, wie sie sich unterscheiden. Klischeehafte einfache Antworten führen hier in die Sackgasse. Weder sind alle Studierenden links, noch wollen sie ständig Berichte von Partyexzessen lesen und elitäre Schnösel ohne finanzielle Lebenssorgen sind sie auch in den seltensten Fällen – um mal ein paar der gängigsten Klischees zu nennen.
Dennoch gibt es Themen, für die sich Studierende stärker als andere Lesergruppen interessieren: etwa die Frage von Studiumsfinanzierung und Studienbedingungen, aber auch die Phase des Berufseinstiegs. Viele Studis sind zudem noch auf der Suche nach dem Platz, den sie später in der Gesellschaft einmal einnehmen wollen und stellen sich davon ausgehend häufig auch ganz grundsätzliche Fragen.
Es wäre aber verrückt zu glauben, dass konkrete allgemeinpolitische Fragen für Studierende deswegen keine Rolle spielen. Flüchtlingskrise, Rassismus, soziale Ungleichheit und Demokratie sind auch für Studis Riesenthemen. Und auch über Sport und Kultur lesen sie gerne.

Die Freiheitsliebe: Welche Bedeutung haben gedruckte Publikationen für junge Menschen überhaupt noch?

Alexander Hummel: Ich glaube, dass man bei dieser Frage nicht pauschal von den jungen Menschen sprechen kann. Im Mediennutzungsverhalten gibt es sicher auch hier große Unterschiede. Es ist daher falsch zu glauben, dass man junge Menschen nur über ein Medium ansprechen könnte. Klar ist aber, dass gedruckte Publikationen als Lieferant schneller Nachrichten für jüngere Menschen ausgedient haben. Diese holen sich die aller meisten von uns mittlerweile über das Internet. Einerseits weil wir hier eh viel Zeit verbringen und andererseits weil Online-Redaktionen hier einfach auch viel schneller als klassische Print-Redaktionen sein können. Für uns als critica, die wir nur einmal im Semester erscheinen, sind die schnellen Infos aber sowieso kein Thema. Wir bemühen uns eher als Redaktion aus der Informationsflut allgemein interessante Hintergründe zu beleuchten, Zusammenhänge herzustellen und neue Perspektiven aufzuwerfen.

Die Freiheitsliebe: Welche Bedeutung haben neue Medien für euch?

Alexander Hummel: Das Potential neuer Medien sollte man nicht verschenken. Das LeserInnen und Redaktion hier miteinander in Diskussion und Interaktion treten können ist wertvoll. Oft kann so schneller über ein Thema diskutiert werden. Das Informationsmonopol professioneller Journalisten wird dadurch relativiert. Ich will das aber auch nicht hochjubeln. Unter anderem durch Internet-Trolle und hate speech werden solidarische Diskussionen oft unmöglich. Auch die Folgenlosigkeit von Diskussionen, die nur online geführt werden, führen dazu, dass viele nach einer gewissen Zeit den Elan verlieren sich gerade an komplexeren und daher aufwendigeren Online-Diskussionen zu beteiligen. Die face-to-face-Diskussion bleibt hier unersätzlich. Solche face-to-face-Diskussionen am Campus anzuregen bleibt eine der Hauptaufgaben der Critica.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

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