„Freedom is a constant struggle“ – Freiheit heißt stetiger Kampf

Mit freundlicher Genehmigung von Haymarket Books.

Das vorliegende Werk, eine Sammlung aus Interviews mit und Essays von Autorin und Aktivistin Angela Davis, entstand in Zusammenarbeit mit Redakteur Frank Barat, selbst Menschenrechtsaktivist, der bereits zuvor ähnliche Projekte mit Aktivist Ilan Pappé sowie Wissenschaftler Noam Chomsky veröffentlicht hatte.

Das Erscheinungsjahr des Buches ist gleichzeitig das 50. Jubiläumsjahr der Gründung der Black Panther Party, der Angela Davis selbst angehörte, bis sie sich infolge des Beschlusses der Partei, keine Doppelmitgliedschaften mehr zu dulden, für ihre Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei (CPUSA) entschied. Ziel der Textsammlung ist es, Kämpfe von Aktivist*innen, die Entstehung von Bewegungen und die Verbindung sozialer Kämpfe auf verschiedenen Ebenen darzustellen.

Diese Verbindung von Kämpfen und ihr gemeinsames Denken ist seit jeher ein zentrales Anliegen im Schaffen der Autorin. Davis wehrt sich vehement dagegen, dass Öffentlichkeit und Medien von Aktivist*innen oftmals verlangen, zu priorisieren und sich zu entscheiden – beispielsweise ob ihnen die schwarze Freiheitsbewegung oder die Frauenbewegung wichtiger sind. Für Davis gibt es darauf nur eine richtige Antwort, nämlich dass die Frage grundfalsch ist: Verbindungen und Überschneidungen zu suchen und zu betonen anstatt Bewegungen zu trennen ist ihr Ansatz. Dieser Ansatz der Intersektionalität, also der Querverbindung und Überschneidung von Unterdrückungsmomenten und Auseinandersetzungen, spielt bereits in ihren früheren Texten und Werken eine zentrale Rolle.

Anlass der aktuellen Veröffentlichung ist, wie der Untertitel mit Bezug auf Ferguson und Palästina erahnen lässt, die Verzahnung von Freiheitskämpfen über Ländergrenzen hinweg. Davis, die selbst 2011 nach Palästina reiste, spricht von ihrem Schock angesichts der dortigen Verhältnisse, welche sie stark an das Regime der Apartheid in Südafrika erinnerten. Ihre Erlebnisse auf dieser Reise und ihre Analyse der Zusammenhänge im Land machten sie zur Unterstützerin des palästinensischen Freiheitskampfes sowie der BDS-Bewegung. Das zentrale Element sind für sie jedoch die Verbindungen, die nicht sofort ins Auge fallen – das Erkennen von Prozessen, die es zu hinterfragen gilt.

Ein solcher Prozess spielte sich nach der Ermordung von Michael Brown durch die Polizei in Ferguson ab: die Szenen im Verlauf der Proteste erinnern Davis an Gaza, allem voran die militarisierte und hochgerüstete Polizei und der Kampf gegen den angeblichen Terror, welcher von Protestierenden ausgeht. Und noch tiefer geht der Zusammenhang: die israelische Polizei ist an dieser Stelle nicht nur methodisches Vorbild, sondern tatsächlich direkt involviert in Ausbildung und Training von US-Polizisten. Davis bemerkt an dieser Stelle, wie perfide es ist, Revolutionäre und Protestierende immer wieder nach ihrer Einstellung zur Gewaltanwendung zu fragen – während Gewaltanwendung durch Polizei, Gefängnisse und Militär nicht nur völlig normalisiert ist, sondern auch ein allgemein akzeptiertes und gerechtfertigtes Monopol darstellt.

Für Davis besteht die aktuelle Herausforderung darin, ein Bewusstsein für diese strukturelle staatliche Gewalt in spontane Protestbewegungen einzubringen, die sich an einzelnen Vorfällen entzünden. Ein anschauliches Beispiel dafür, dass Fälle von Polizeigewalt bis hin zur Tötung beileibe kein neuer Trend und keineswegs sensationelle Ausnahmen sind, ist ein von ihr zitierter Artikel, der Verbrechen durch die US-Polizei auflistet, die in dem Zeitraum verübt wurden, in dem die Öffentlichkeit auf das Urteil im Falle Ferguson/Michael Brown wartete. Hieran zeigt sich für sie, dass Lösungen gefunden werden müssen, die über die Verfolgung von Individuen und Proteste gegen individuelle Vorfälle hinausgehen – das reine Aussortieren „fauler Äpfel“, wie mordende und gewalttätige US-Polizisten gerne im Volksmund bezeichnet werden, reicht nicht aus, sondern das ganze Fass muss ausgekippt und durchgelüftet werden. Das Fass ist in diesem Fall das System, und das Problem ist, dass man sich nicht auf Staat oder Regierungen verlassen kann, egal wer gerade an der Macht ist. Der Apparat ist immun gegen Veränderungen „von innen“. Das beste Beispiel dafür ist die Präsidentschaft von Obama, die angeblich ein Zeichen für das Anbrechen einer „postracial era“ gewesen sein sollte, also einer Ära, in der Rasse keine Rolle mehr spielt. Nach acht Jahren jedoch ist völlig klar, dass die schwarze Bevölkerung der USA keine maßgeblichen Verbesserungen erfahren hat und es im Gegenteil zu massiven Auseinandersetzungen und zahlreichen Manifestationen von Rassenhass und struktureller rassistischer Gewalt gekommen ist.

Besonders drastisch zeigt sich die systematische Ungerechtigkeit des Staates in einem weiteren zentralen Anliegen von Davis, nämlich der Gefängnisindustrie. Hier ist ihrer Ansicht nach alles versammelt, was der Staat verbricht und worum er sich nicht kümmert – sie beschreibt die Situation in US-Gefängnissen als staatliches „Lagerhaus des Versagens“. Und auch diese Industrie der Verdrängung sozialer Konflikte hat nicht nur eine nationale, sondern eine internationale Komponente, an der sich das kapitalistische System offenbart: der profitabelste Sektor des Gefängnissystems sind Abschiebehaftanstalten und Deportationen. Die strikteste, einwanderungsfeindlichste Politik der USA wird mittels und zum Nutzen der Gefängnisunternehmer umgesetzt. Und hier schließt sich erneut der internationale Kreis des Systems: G4S, amerikanischer Dienstleister und weltweit drittgrößtes Unternehmen, ist seinerseits maßgeblich beteiligt an der Organisation von Abschiebelagern, Deportationen, der Grenzsicherung zu Mexiko und – der Unterdrückung in Palästina. Hier verbindet sich restriktive, rassistische Politik direkt mit Kapitalinteressen und der Staat öffnet sein fragwürdiges Gewaltmonopol für die Nutzung durch private Dienstleister. So kommt es, wie auch bei der US-Polizei, regelmäßig zu nicht geahndeten Tötungen. Ein Beispiel, das Davis erwähnt, ist das von Jimmy Mubenga, der bei seiner Abschiebung aus Großbritannien nach Angola von G4S-Mitarbeitern getötet wurde – mittels einer Methode, die als „carpet karaoke“ bekannt ist, also als „Karaoke in den Teppich“. Im Falle Mubenga wurde dieser zum Schweigen gebracht, indem er im Flugzeug 40 Minuten lang im Sitzen mit dem Gesicht in die Lehne des Vordersitzes gepresst wurde. Auch hier kam es, wie in den allermeisten Fällen derartiger Gewaltanwendung, zu keinem Schuldspruch – niemand wurde zur Rechenschaft gezogen, und G4S hatte seine „Dienstleistung“ im Namen des Systems erfüllt.

Die Grundlage dieser Grausamkeit ist systematisch verankerter Rassismus, der Nicht-Weiße und Migrant*innen fortwährend dehumanisiert, ihre Misshandlung und Unterdrückung als alltägliches Übel erlaubt, und durch Profitinteressen am Leben gehalten und genutzt wird. Für Davis steht fest: wer Kapitalismus im eigenen Land bekämpft, leistet automatisch Solidarität. Durch die aktive Bekämpfung der Phänomene Polizeigewalt, Abschiebegewalt und industrielle Gefängnisverwaltung vor Ort werden genau die Mechanismen angegriffen, die international unterdrücken und ausbeuten. Das Ziel ist die Verknüpfung im Bewusstsein der Massen und der daraus resultierende Aufbau einer Massenbewegung, die zwar geografisch zerstreut aber innerlich geeint einen wahren Systemwandel vorantreiben kann.

Entscheidend für dieses Bewusstsein ist für Davis auch das Erkennen der Gegenmaßnahmen des Systems, so zum Beispiel das Etikett „Terrorist“, das regelmäßig Freiheitskämpfer*innen angeheftet wird und sie in den Augen der Öffentlichkeit brandmarkt – aktuelles Beispiel ist Assata Shakur, die sich seit Jahrzehnten im kubanischen Exil befindet und trotz ihres fortgeschrittenen Alters kürzlich in die Liste der 10 meistgesuchten Terroristen der Welt aufgenommen wurde. Das heißt: auf ihren Kopf sind 2 Millionen Dollar Belohnung bei Ergreifung ausgesetzt, was wiederum private „Dienstleister“ auf den Plan ruft, die sich erwerbsmäßig mit der Ergreifung von „Terroristen“ beschäftigen. Darüber hinaus wird medial und öffentlichkeitswirksam oftmals das politische Bewusstsein organisierter Proteste unterschätzt und klein geredet sowie der Organisierungsgrad heruntergespielt. Wahr ist zwar laut Davis, dass es derzeit keine Massenbewegung in den USA gibt, jedoch die Menschen durchaus bereit für eine Massenbewegung sind. Unterstrichen wurde dies in der jüngeren Vergangenheit durch die zahlreichen Proteste, die nach der knappen Wahl des ausgesprochen rassistischen, frauenfeindlichen und reaktionären Präsidentschaftskandidaten Donald Trump vielerorts stattfanden.

Was Angela Davis besonders und wichtig macht, ist, dass ihre Analyse keine rein akademische Konstruktion ist, sondern aus Lebenserfahrung gewonnen ist. Dass Unterdrückungsmechanismen nicht isoliert voneinander wirken, sondern ineinander greifen und Kämpfe von Natur aus verbunden sind, ist für sie ein logischer Schluss aus der eigenen Geschichte und Vergangenheit. Dabei sieht sie sich keineswegs als „Lehrerin“ – ihrer Ansicht nach gibt es in Freiheitskämpfen keine Elite, keine endgültige Weisheit. Es geht ihr um Austausch und gegenseitige Ergänzung mit dem Ziel, Anliegen von Menschen anzusprechen und miteinander zu verknüpfen. In einer Zeit, wo der Neoliberalismus uns zu individualisiertem und isoliertem Denken zwingt ist es an uns allen, in Bewegungen und Kollektiven einen neuen Sinn für Gemeinsamkeit herzustellen und aus ihm Kraft und Hoffnung für soziale Kämpfe zu gewinnen. Wir alle müssen verhindern, dass radikale Kämpfe als abgeschlossene Einheiten abgehakt und zu harmlosen Anekdoten der Popkultur werden, während das Establishment sich historische Siege von Bewegungen auf die eigenen Fahnen schreibt, wie es vor allem in den USA so oft geschieht – Lincoln war kein überzeugter Gegner der Sklaverei und hat auch die Sklaven nicht befreit, ebenso wie Martin Luther King nicht nur ein Träumer war, sondern ein Kämpfer gegen Ungerechtigkeit. Von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung zu seiner Zeit, die Solidarität mit der Bevölkerung Vietnams übte und sich gegen den Vietnamkrieg engagierte, zieht sich ein ununterbrochener Zusammenhang bis in die heutige Zeit und den Kampf gegen Polizeigewalt im Innern und Imperialismus im Äußeren.

Und nach wie vor gilt für Davis im Sinne Kings: „Injustice anywhere is a threat to justice everywhere“ – wo Ungerechtigkeit geschieht, bedroht sie alle Menschen überall. Im selben Sinne gibt es keine Freiheit, solange nicht alle Menschen frei sind. Es liegt an uns allen, sich in den Kampf gegen Rassismus, Frauenunterdrückung, Militarisierung, Gefängnisindustrie und Imperialismus einzumischen und mitzukämpfen – wir haben die Macht.


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