Wochenlang dauerten die internen Flügelkämpfe in Spaniens Linkspartei Podemos an, heute konnte sich Parteichef Pablo Iglesias mit über 89% Stimmenanteil erneut zum Generalsekretär der faktisch größten spanischen Oppositionspartei küren. Vorangegangen war dem ein teils erbitterter, medial ausgeführter Kampf mit seiner Nummer 2, dem Chefstrategen und Politologen Íñigo Errejón, um die zukünftige Richtung Podemos. Soll sich die Partei der Mitte öffnen oder sich auf ihren Kern als Straßenbewegung konzentrieren? Heute hat sich eine Mehrheit für Letzteres entschieden und Iglesias Kurs bestätigt. Die eigentliche Frage ist aber, wie kann die spanische Linke eine Spaltung zwischen „Realos“ und „Fundis“ verhindern?
Das Wahlprozedere am heutigen Tage mutete wie eine Szene aus der Zukunft an, die Anhänger Podemos hatten heute die Gelegenheit online über den Parteivorsitz zu entscheiden. Mit einem überzeugenden Ergebnis wurde das Gesicht der linken Protestbewegung, der Politikwissenschaftler Pablo Iglesias (38) in seinem Amt als secretario general bestätigt. Zwar gab es keine formalen Gegenkandidaten, trotzdem bedeutete die Wahl eine Art Zerreißprobe, den es geht um nichts geringeres als die Ausrichtung der Partei, also praktisch deren Zukunft. Vor allem zwei Lager bekämpften sich ungewöhnlich hart, die Errejonistas, also die Befürworter einer Institutionalisierung Podemos im spanischen Parteiensystem. Ihnen geht es darum, die Partei in die Mitte zu öffnen, sie also konkurrenz- und regierungsfähig zu machen, um Teil der Macht zu werden, Politik also aktiv mitgestalten, notfalls auch in Koalitionen mit Sozialdemokraten (PSOE). Dem gegenüber steht das zahlenmäßig überlegene camp der Unterstützer Iglesias, das sich klar von den etablierten Parteien abgrenzen und seine Wurzeln als soziale Bürgerbewegung betont, damit auch notfalls riskiert, mehr idealistische als realpolitische Ziele zu verfolgen. Iglesias geht es insbesondere um die Transformation der Gesellschaft, ein Ansatz, der für die Errejonistas in dieser Tiefe zu weit geht.
Aufgrund der rebellischen und teils konfrontativen Vorgehensweise wurde Parteichef Iglesias nicht nur von der spanischen Presselandschaft scharf kritisiert, auch manche seiner KollegInnen schossen sich auf den charismatischen Madrider Universitätsprofessor ein. Der selbstbewusste Wahlkampf im vergangenen Juni führte trotz vorhergehender kommunaler Wahlerfolge wie der Eroberung der Rathäuser von Madrid und Barcelona nicht zum geplanten sorpasso, also dem Verdrängen der PSOE von Platz 2 der stimmenstärksten Parteien. Dennoch hält Podemos in den cortes generales, dem spanischen Parlament, eine etwa 70-köpfige Fraktion, die sich zum Ziel genommen hat für soziale Gerechtigkeit, gegen das Spardiktat, und für einen Kompromiss mit separatistischen Strömungen aus dem Baskenland und Katalonien zu sprechen. Auch das damals beschlossene Bündnis der großen linken Parteien, Podemos und der Vereinigte Linke (IU) war umstritten, erst Recht nachdem es nicht den gewünschten Erfolg einbrachte. Der Kreis um Errejón stellte die klarformulierte Strategie, Podemos als unbestrittene linke Kraft zu etablieren, in Frage, denn laut Errejón sind die Kategorien „links“ und „rechts“ überholt, die Forderungen des Volkes müssen so kanalisiert werden, dass man sich den verschiedenen Wählerspektren offen halte („transversal“). Auch diese Einstellung, Podemos pragmatischer aufzustellen, missfiel aber Iglesias. Sowohl die inhaltliche Ausrichtung, als auch das Streben zweier sich eigentlich gut bekannter Politikenthusiasten wie Iglesias und Errejón (beide lehren an der Complutense Universität in Madrid) trieb einen Keil in die spanische Linke, die weitere Köpfe in Partei und Gesellschaft auseinander dividierte.
Schlussendlich ging Iglesias heute als persönlicher Sieger hervor. Der 62-köpfige Parteivorstand besteht nun aus 37 ihm zugewandten GenossInnen, die Minderheit von 23 Mitgliedern wird dem Lager Errejón zugewiesen, und zwei weitere der dritten „Seele“ Podemos, der anticapitalista, einer Gruppierung, die beim Organisieren von sozialen Bewegungen in den Städten eine große Rolle spielt und Iglesias nahestehen. Die eigentliche Frage bei Podemos, wie bei den meisten linken, alternativen, progressiven, und liberalen politischen Vereinigungen ist der Drahtseilakt zwischen Idealismus und Realpolitik, an diesem rieb sich die spanische Linke nun erheblich auf, und riskiert so eine Schwächung ihrerselbst. Die soziale Frage in Spanien, an der sich gerade gerechtigkeitsgeleitete Parteien wie Podemos messen lassen müssen, ist noch immer in besorgniserregendem Zustand: Hunderttausende Menschen bekamen im letzten Jahr den Strom abgestellt, die Jugendarbeitslos ist mit über 50% noch immer erschreckend hoch, die Lage um die Bürgerrechte ist unverändert schlecht („Ley Mordaza“), und mit dem Wahlsieg der regierenden rechten Volkspartei PP wird Spanien weiter den Weg Brüssels und Berlins gehen: Abbau des Sozialstaates, Deregulierung der Märkte und Liberalisierung der Wirtschaft, Einschränkung der Freiheitsrechte, und Sparpolitik auf Kosten der Bevölkerung. Auch aus diesem Grund besteht weiterhin eine große Nachfrage an der Bewältigung der sozio-ökonomischen Krise, unter der die SpanierInnen leiden. Gerade in Madrid und der katalanischen Metropole Barcelona verzeichnen die linksalternativen Bündnisse spürbare Erfolge, erhöhten die Ausgaben für Bildung, Gesundheit, und Soziales, stehen für ein offenes Spanien ein, verteidigen die Bürgerrechte, und konnten sogar die Schuldenlast reduzieren. Der Parteitag von Vistalegre, sollte für die spanische Linke eher Symbol des Aufbruchs und der Solidarität werden, als eines von Spaltung und Zerwürfnis. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Podemos den Weg der internen Querelen um Personen und Inhalte beenden kann, denn es ist gerade Spanien, das tiefe Grabenkämpfe leidvoll ertragen musste und unter denen es heute noch leidet.