Für den gestrigen Samstag, den 2. April, hatte die nationalistische Partei NPD in Essen zu einer Demonstration gegen „Asylmissbrauch und Islamisierung“ aufgerufen. Bei strahlendem Sonnenschein folgte diesem Ruf eine erfreulich geringe Anzahl „besorgter Deutscher“, Schätzungen gehen von maximal 80 Teilnehmern auf rechter Seite aus. Das Bündnis Essen stellt sich quer (ESSQ) konnte dagegen trotz relativ spärlicher Mobilisierung unter Zeitdruck knapp 800 Teilnehmer*innen aus Essen und dem ganzen Ruhrgebiet zusammentrommeln, die sich bunt, laut und gut gelaunt den menschenverachtenden Rechtsideologen entgegen stellten.
Bereits im Vorfeld hatte es Anzeichen dafür gegeben, dass der Essener Polizei mehr daran gelegen war, den Versammlungsfrieden auf rechter Seite zu gewährleisten, als eine konstruktive Gegendemonstration zu ermöglichen: der Hauptbahnhof wurde quasi komplett der NPD „überlassen“ und ihrer Demoroute zugerechnet, was die Anreise für Gegendemonstrant*innen zu einer einigermaßen heiklen Angelegenheit machte. Dazu wurde auch eine wichtige U-Bahn-Haltestelle nahe des Auftakttreffpunktes komplett gesperrt, sodass es ziemlich genau eine Straßenbahnhaltestelle für alle potenziellen Teilnehmer*innen der Gegenseite gab, die als nutzbar für die Anreise bekannt war. Zudem war die schließlich genehmigte Route der Gegenkundgebung keineswegs dazu geeignet, deutlich Gesicht zu zeigen – lediglich an zwei Stellen war es auf der offiziellen Route kurzzeitig möglich, NPD-Anhänger aus relativer Ferne zu sehen.
Von alledem ließ sich die bunte Menge nicht abschrecken: es wurde munter Krach geschlagen, und ab dem Platz der Zwischenkundgebung gesellte sich ein LKW mit starker Soundanlage zum Demonstrationszug, aus dem später auch die Musik der beiden Bands ertönte, die das Bündnis hatte gewinnen können, um die Abschlusskundgebung in ein Mini-„Rock gegen Rechts“ zu verwandeln. Doch die lauten Stimmen der linken Teilnehmer*innen erklangen nicht nur gegen die NPD, sondern immer wieder auch mahnend in Richtung der Organisation. Man hätte sich der Polizei gegenüber zu sehr auf „Händeschütteln“ verlagert, man sei zu kooperativ, mit quer stellen hätte das Format wenig zu tun. Einige linke Stimmen kritisierten die prominente Anwesenheit sowie den Redebeitrag des Essener Bürgermeisters Kufen, Mitglied der CDU. Berechtigterweise gab es den Einwand, dass es ein Hohn sei, einen Menschen mit seinem Parteibuch auf einer Demonstration gegen Rassismus und „Asylkritik“ sprechen zu lassen, da die CDU mit ihrer Politik genau das gesellschaftliche Klima befördert und pflegt, in dem Gewächse wie NPD, PEGIDA, ProNRW und auch AfD erst gedeihen konnten. An das Bündnis ESSQ wurde die relativ deutliche Forderung gestellt, sich nicht mit Kräften aus dieser politischen Richtung gemein zu machen oder diese zu hofieren, um seine antirassistische, offene Position nicht zu verraten.
Auch wenn diese Kritik inhaltlich wenig Raum für Widerspruch lässt, muss auch die Frage gestellt werden, ob es sinnvoll ist, den Bürgermeister einer Stadt nicht einzuladen. Viele Menschen, unabhängig von Parteibuch und politischer Ausrichtung, werden das Auftreten und den Redebeitrag „ihres“ Bürgermeisters als wichtige Legitimation der Bündnisarbeit gegen Rechts wahrnehmen und sind sich inhaltlich über die Arbeit seiner Partei vielleicht nicht zwangsläufig im Klaren. Für solche politisch weniger aktiven oder interessierten Bürger kann ein entsprechender Auftritt durchaus den Ausschlag geben, sich mit der eigenen Positionierung gegen Rechts auseinanderzusetzen und/oder das Bündnis überhaupt erst als berechtigt und anschlussfähig zu empfinden.
Soweit, so gut – so unbefriedigend für linke Kräfte. Diese hatten nicht nur Kritik an der Beteiligung des Bürgermeisters, sondern auch an der mangelnden Bereitschaft antifaschistischer Teilnehmer*innen zu Blockaden und sonstigen Aktionen. Es hagelte während und nach der Demonstration herbe Kritik an der „Unbeweglichkeit“ der Veranstaltung, die ja scheinbar nur darauf abzielte, „Nazis zu beschallen“. Auch diese Kritik muss von zwei Seiten betrachtet werden – einmal werden die oben beschriebenen, politisch wenig versierten Essener Bürger wenig mit linken Protestformen zu tun haben (wollen) und sich im Zweifelsfall von Antifa-Aktionen eher abschrecken als anziehen lassen – denn wer will schon „Ärger“ mit der Polizei oder mit einem schwarzen Block assoziiert werden?
Auf der anderen Seite jedoch wäre es aus linker Sicht äußerst wünschenswert, im Vorfeld eine starke Vernetzung zu erzielen, um durch effektive, wahrnehmbare und koordinierten Aktionen wie Blockaden darauf hinzuweisen, dass es mit „beschallen“ tatsächlich nicht getan ist. Dass zu einem gelungenen Auftritt gegen Rechts auch gehört, immer wieder klar zu machen, dass wir nicht bereit sind, den Nazis die Straßen kampflos zu überlassen, auch wenn die Polizei das gerne so handhabt und auch schon mal weniger kooperative linke Aktivist*innen als „Spacken“ bezeichnet, wie es sich wohl gestern in Essen zugetragen hat. Bei allen Bemühungen um eine breit angelegte Ansprache der Zivilgesellschaft aller Lager dürfen wir nicht vergessen, wes Geistes Kind hier mit knapp 80 Mann (und eventuell auch einigen weniger sichtbaren Frauen) demonstriert hat: die Ideologie der NPD ist weder „nur konservativ“ noch „volksnah“ – sie ist menschenfeindlich, rassistisch, frauenverachtend, reaktionär, rückschrittig und schlichtweg inakzeptabel.
Über den durchaus verständlichen und berechtigten Ruf nach einem Verbot der Partei soll an anderer Stelle diskutiert werden, es muss jedoch klar sein, dass derartige Ideologien in einer freiheitlichen Gesellschaft keinen Platz erhalten dürfen. Und erst recht nicht so viel Platz, wie sie ihn gestern in Essen in aller Ruhe genießen konnten. Neben dem Dank an die unermüdliche Organisation des Bündnisses Essen stellt sich quer muss sich also eine deutliche Kritik an alle Teilnehmer*innen und Kritiker*innen gleichermaßen richten: gebt euch nicht mit dem zufrieden, was andere für euch leisten. Bringt euch ein und gestaltet mit! Ein Bündnis ist immer nur so stark, links, progressiv und funktional wie seine Mitglieder. Es darf nicht sein, dass „Bündnispartner“ sich an der Vorbereitung nur dann beteiligen, wenn es darum geht, einen Redebeitrag zu platzieren. Es ist kein produktives Vorgehen, sich im Vorfeld aus allem herauszuhalten, um danach zu bemäkeln, dass „die Organisation“ alles „falsch“ gemacht hätte. Es kann nicht angehen, dass ein breites Bündnis dafür kritisiert wird, eine Antifa nicht koordiniert zu haben, die sich von einem breiten Bündnis überhaupt nicht koordinieren lassen WILL.
Was bleibt, ist der dringende Appell an alle Kräfte, die sich als progressiv verstehen – macht mit und macht es BESSER. Im aktuellen politischen Klima ist jede vertane Chance der Beteiligung an antifaschistischen Protesten eine Katastrophe. Daher – lasst es uns gemeinsam besser machen. Jede*r ist herzlich eingeladen.
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